Wächter der Venus
die ihnen eben diesen Freiheitsdrang gehörig beschneiden.«
»Freiheit kann es nur in der Ordnung geben!« widersprach ich heftig.
»Ganz recht, Bruder. Aber die Ordnung muß in euch sein und darf nicht von außen eingreifen. Wo sie es dennoch tut, mangelt es den Individuen an sittlicher Reife.«
»Welchen?« fragte ich zynisch. »Denen, die sich der Ordnung unterwerfen oder denen, die die Ordnung organisieren?
Vielleicht denkst du in diesem Zusammenhang daran, daß du mich meiner Freiheit beraubt hast!«
»Vorübergehend, Berry!« versuchte der Venusier mich zu beruhigen. »Bedenke, daß ich die gesamte Menschheit von dem Zwang befreien will, den euch die stabilen Umweltverhältnisse auf der Erde auferlegen. Hier auf der Venus werden sie wieder freie Venusier sein. Dieses Ziel rechtfertigt es, die Freiheit eines einzelnen Individuums für kurze Zeit zu beschränken.«
»Du benutzt sehr viele irdische Redewendungen und Phrasen, Agkora«, spottete ich. »Fast sollte man glauben, du hättest lange Zeit unter Erdmenschen gelebt.«
»Zehntausend eurer Jahre«, gab Agkora zurück. »Die Aufzeichnungen unserer Sonden reichen bis in die voreiszeitliche Kolonisationsperiode hinein, und von den letzten Jahrhunderten gibt es besonders viele und ausführliche Berichte.«
Bei diesen Worten kam mir ein Gedanke, der mir eigentlich schon viel früher hätte kommen sollen; aber das lag wohl daran, daß es für mich dieses Problem niemals gegeben hatte. Ich war bisher der Meinung gewesen, es handelte sich um die Ausgeburten krankhafter Phantasie, und nichts ist schwerer für den Menschen, als aus den Einbahnstraßen seiner eigenen Vorurteile auszubrechen.
»Diese Sonden …«, sagte ich bedächtig, »sind sie identisch mit den sogenannten Fliegenden Untertassen?«
Agkora lachte. Noch nie hatte ich ihn lachen hören, und nun lachte er schallend, wenn auch auf eine Art und Weise, die ein Mensch in irdischer Gestalt niemals bemerkt hätte.
»Entschuldige«, sagte er nach einer Weile, »aber dieser Begriff hat mich schon erheitert, als ich ihn zum erstenmal vernahm.«
»Wenn es dich beruhigt«, fuhr ich auf, »es handelt sich nicht um den offiziellen Begriff. Der heißt UFO – Unbekanntes Flugobjekt.«
»Ich weiß, Berry. Aber der andere Begriff gefällt mir besser, und er beschreibt die Erscheinungsform der Sonden auch viel treffender.«
»Also doch! Also waren die Berichte von fremden Objekten aus dem Weltraum doch keine Phantastereien!«
»Nicht alle Berichte. Die meisten beruhten auf falschen Deutungen von Luftspiegelungen oder anderen natürlichen Phänomenen. Meine Sonden wurden nur in zwei Fallen kurzfristig von Radar erfaßt, und nur eine einzige ging im Gebiet der Erde verloren. Hin und wieder mögen Erdmenschen wirklich eine Sonde beobachtet haben, aber diese Beobachtungen müssen wegen des fehlenden Organradars sehr ungenau gewesen sein.«
Ich schwieg.
Offengestanden, ich fühlte mich beschämt, weil ich damals auf der Erde alle jene Berichte über UFOs als Hirngespinste abgetan hatte, ohne mich ernsthaft mit ihnen zu beschäftigen. Rückschauend erkannte ich, daß diese Art und Weise des Denkens typisch für die Masse der Menschheit war. Auch die These von der Einmaligkeit des intelligenten Lebens im Sonnensystem war das Produkt solchen Denkens gewesen. Und wie in einer Kettenreaktion hatte diese These andere Fehlschlüsse nach sich gezogen. Die Ablehnung der UFO-Beobachtungen war nur einer gewesen. Ich entsann mich, daß ich die Möglichkeit, Fremde aus dem All könnten die Erde seit Jahrhunderten beobachten, deshalb verworfen hatte, weil ich mir sagte, daß keine intelligente Rasse über viele Lichtjahre hinweg und in einem langen Zeitraum nur beobachten würde. Die einzige Voraussetzung für die Möglichkeit solcher Dauerbeobachtungen wäre die Existenz einer zweiten intelligenten Rasse innerhalb des Sonnensystems gewesen; aber das überhaupt zu erwägen, verbot sich wegen der ›Einmaligkeitsthese‹ von selbst.
»Ich lasse dich jetzt allein«, meldete der Venusier sich erneut. »Wann ich wiederkommen kann, weiß ich noch nicht. Aber die Automatik wird dich versorgen.«
»Warte!« rief ich.
Aber Agkora schwieg.
Ich war allein, abgeschnitten von meiner venusischen Umwelt – und abgeschnitten von meinem irdischen Körper.
Aber im hintersten Winkel des von mir regierten biosynthetischen Gehirns reifte ein Plan heran, zwar noch sehr verschwommen, jedoch mit einem festen Ziel: dem Ziel, Agkoras
Weitere Kostenlose Bücher