Wächter des Elfenhains (German Edition)
durch den Panzer aus Trauer und Schmerz hindurchzubrennen, der die Seele des Jungen seit dem Anblick von Ionosens verstümmelter Leiche umschlossen hielt. Es war ein wohldosierter Dolchstoß gewesen, eine unumgängliche Maßnahme, die neben dem offensichtlichen Vorteil von Ionosens Eliminierung noch einem anderen, wesentlich bedeutsameren Zweck gedient hatte.
Ein nachdenklicher Zug glitt über Ogaires Gesicht, und seine Elfensinne richteten sich erneut nach außen, lauschten konzentriert auf eine Regung im grauen Zwielicht zwischen den Bäumen und auf das Nahen der Präsenz seines Sohnes, das den letzten Akt in ihrem kleinen Drama einläuten würde. Es lag eine gewisse Ironie darin, dass Andion niemals erfahren würde, wie nahe er vermutlich daran gewesen war, ihn ernsthaft in Schwierigkeiten zu bringen. Er hätte nur ein einziges Mal die Macht berühren müssen, die in seiner Seele verborgen lag, hätte lediglich das Tor aufzustoßen und sich zu nehmen brauchen, was sich dahinter befand. Warum bloß hatte Ionosen ihm nie etwas davon erzählt? Warum hatte er es stattdessen vorgezogen, für Andion in den Tod zu gehen? Was hatte er sich davon versprochen? Oder hatte er es am Ende überhaupt nicht gewusst? Konnte es tatsächlich sein, dass Ionosen vom wahren Ausmaß seiner Pläne die ganzen Jahre nichts geahnt hatte? War die Macht des Elfenpropheten wirklich so gering gewesen?
Aber vielleicht hatte es auch gar nicht anders sein können. Ionosen hatte sich stets vor der dunklen Seite der Elfenmagie gefürchtet, war niemals selbst in die finsteren Tiefen hinabgestiegen und hatte die Schätze geschaut, die in den düsteren Kavernen ihrer Seelen schlummerten und nur darauf warteten, von einer unerschrockenen Faust gepackt und ans Licht gezerrt zu werden. Er wusste weder etwas von den Möglichkeiten noch von den Grenzen Schwarzer Magie, und auch seine Sehergabe war nicht allmächtig. Manches hatte er sich vielleicht mühsam aus vagen Hinweisen erschließen müssen, war bei anderen Dingen womöglich gänzlich im Dunkeln herumgeirrt und hatte sich mehr schlecht als recht an wilden Vermutungen und Spekulationen über die wirklichen Absichten seines Gegners entlanggehangelt, immer mit der Furcht, irgendeinen entscheidenden Mosaikstein übersehen zu haben, der all seine Bemühungen auf einen Schlag zunichtemachte.
Was letztlich wohl auch geschehen war. Hatte Ionosen tatsächlich geglaubt, er könne mit Hilfe von Andions Magie die Grenze zum Hain überschreiten, schnurstracks zur Quelle marschieren und in aller Ruhe zu trinken beginnen, sie bis auf den letzten Tropfen, das letzte winzige Fragment der darin enthaltenen Elfenseelen leerschlürfen und sich damit zum mächtigsten Wesen des Universums aufschwingen?
Zwar war genau das sein Ziel, dennoch war es nicht so einfach, wie Ionosen sich das offenbar vorgestellt hatte. Denn trotz ihrer unbestreitbaren Anfälligkeit für gewisse schwarzmagische Manipulationen war die Quelle eine bei Weitem zu machtvolle Entität, als dass sie sich lediglich mit einem beiläufigen Fingerschnippen unter einen fremden Willen hätte zwingen lassen. Dass es ihm damals, bei seinem spektakulären Abgang aus dem Hain, gelungen war, seine eigene Lebenskraft mit der der Quelle zu verbinden und damit 90 Jahre lang den Ruf zu unterdrücken, der ihn in seiner damaligen Situation unweigerlich zum Tode verurteilt hätte, bedeutete gar nichts, war nicht mehr als ein billiger Taschenspielertrick, der mit der wahren Herausforderung, der wirklichen Prüfung so viel gemein hatte wie die ersten lallenden Worte eines Kleinkindes mit einem Vortrag über die Mysterien der Quantenphysik. Sollte Ionosen angenommen haben, er hätte die ganze Zeit in der Menschenwelt damit zugebracht, verzweifelt nach einer geeigneten Frau zu suchen, die für die Durchführung seiner Pläne infrage kam, so hätte er sich auch in diesem Fall im Irrtum befunden. Die Schwierigkeit hatte nicht darin bestanden, eine solche Frau aufzuspüren – was zweifellos einige Anstrengungen erfordert hatte, aber keinesfalls unmöglich gewesen war -, sondern mithilfe seiner Schwarzen Magie den Boden zu bereiten und die Falle aufzuspannen, aus der es für die Quelle schließlich kein Entrinnen mehr geben würde.
Wäre ihm bei diesem Teil seines Planes ein Fehler unterlaufen oder – der schlimmste aller Albträume – hätte er nach Jahren vergeblicher Bemühungen festgestellt, dass er seine Fähigkeiten bei der Meisterung der schwarzen Künste
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