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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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den Ohren, und seine Hände zitterten, als er endlich vor der Tür zu ihrer Wohnung stand. Was, wenn Ogaire nun schon hier gewesen war? Was, wenn er auch sie getötet hatte?
    Er spannte seine Muskeln, stieß die Tür auf und stürmte in den Raum, doch bereits nach zwei Schritten stoppte sein verzweifelter Lauf, als sei er abermals gegen eine unsichtbare Mauer geprallt, und Tränen der Erleichterung ließen seinen Blick verschwimmen. Seine Mutter war noch da! Und sie lebte!
    Sie stand vor ihrem Sessel im Flur, war offenbar bei seinem ersten Ruf aufgesprungen. Ihre Stickerei, an der sie eben noch gearbeitet haben musste, lag wie ein verkrüppelter toter Vogel neben ihr auf dem Boden. Sie starrte ihn mit großen Augen an, starrte auf das Blut auf seiner Kleidung, und Andion spürte, wie sich Entsetzen und Begreifen wie mit kalten Klauen in ihr Herz gruben.
    „Er hat uns gefunden!“, flüsterte sie.
    Andion eilte auf sie zu und nahm sie beim Arm. „Ionosen ist tot. Seine Zauber können uns nicht länger beschützen. Wir müssen sofort hier weg!“
    Nackte Panik sprang ihn an und schnürte ihm vor Grauen die Kehle zu. Was, wenn Ogaire gar nicht vorgehabt hatte, vor ihm in ihrer Wohnung zu sein? Was, wenn er sich einfach irgendwo in der Nähe des Parks auf die Lauer gelegt hatte und ihm gefolgt war? Er könnte ihn geradewegs zu ihrem Versteck geführt haben, und er hätte es nicht einmal bemerkt!
    Er warf sich mit einem jähen Ruck herum und hob die Fäuste, als könne er dadurch die tödliche Magie seines Vaters davon abhalten, ihn mit einem Fingerschnippen in blutige Fetzen zu sprengen, doch da war niemand hinter ihm. Die Treppe war leer.
    Hastig wandte er sich wieder seiner Mutter zu. Ihr Gesicht war so bleich wie das eines Toten, und ihre Miene, die eben noch von Erschrecken und Furcht verzerrt gewesen war, wirkte nun auf eine unheimliche Weise gefasst, als seien sämtliche ihrer Gefühle tief unter der Oberfläche ihrer Seele zu Eis erstarrt und hätten nur ein fahles, geisterhaftes Echo zurückgelassen, zu schwach selbst für ihn, um zu spüren, wie es tatsächlich in ihr aussah.
    „Du musst dich umziehen.“ Ihre Stimme war leise, tonlos, schien merkwürdig verloren in dem düsteren Raum zu schweben.
    „Dafür ist keine ...“
    „Und dein Gesicht waschen. So fällst du zu sehr auf.“
    Andion spürte, dass sie nicht gehen würde, bevor er das nicht tat, und so gab er nach. Es würde weniger Zeit kosten, ihrem Willen zu folgen, als ihr zu erklären, dass er sie zumindest vor den Blicken der Menschen schützen konnte.
    Mit jagendem Puls stürzte er an ihr vorbei ins Bad – und erschrak, als er sein verschwitztes, blutverkrustetes Gesicht im Spiegel sah. Grimmig presste er die Lippen aufeinander und verfluchte sich für seine Gedankenlosigkeit. War es bei seinem Anblick ein Wunder, dass ihr der Schock in alle Glieder gefahren war? War die Nachricht von Ionosens Tod nicht bereits schlimm genug? Musste er sie durch seine Dummheit auch noch zusätzlich ängstigen?
    Rasch drehte er den Wasserhahn auf, steckte seinen Kopf darunter und ließ das eiskalte Wasser über sein Gesicht und seine Haare strömen, anschließend eilte er in sein Zimmer, trat die nassen Schuhe fort und schälte sich aus Hemd und Hose. Hastig schlüpfte er in frische Kleidung und trockene Schuhe, ließ sich kaum Zeit, die Schnürsenkel zu binden, und stürmte zurück in den Flur.
    Seine Mutter stand noch immer vor ihrem Sessel, schien sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt zu haben. Doch sie hielt plötzlich ein Glas mit Limonade in der Hand.
    „Hier, trink! Du musst durstig sein.“
    Völlig außer Atem, wie er war, griff Andion dankbar nach dem Glas und kippte den Inhalt gierig hinunter, dann nahm er seine Mutter an der Hand und zog sie in Richtung Treppe.
    Doch er kam nicht weit. Bereits nach wenigen Schritten begann die Welt plötzlich um ihn zu schwanken. Andion brach in die Knie, versuchte, wieder auf die Füße zu kommen, und fiel stattdessen schwer zur Seite. Keuchend blieb er liegen, zitternd und schwach wie ein Vogelküken, das gerade aus seinem Nest gefallen war, während Taubheit wie feuchte Watte in sein Gehirn zu sickern begann und Ranken aus klebriger Dunkelheit durch seinen Geist krochen, sich hungrig um seine Arme und Beine schlangen, ihm von einer Sekunde auf die andere sämtliche Kraft aus seinem Körper zu saugen schienen.
    Der Schatten seiner Mutter fiel über ihn. Verschwommen sah er ihr Gesicht, doch er spürte die

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