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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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einem Angriff die instinktive Abwehrreaktion der Quelle ausgelöst werden würde – würde tun können, wozu kein reinblütiger Angehöriger seines Volkes jemals in der Lage wäre.
    Und so war Andion geboren worden. Wieder dachte er an Ionosen, und beinahe hätte er Mitleid mit dem alten Narren gehabt. So heroisch hatte er sich in die Schlacht geworfen, um Andions Mutter aus den Klauen ihres finsteren Entführers zu befreien, und doch war sein Scheitern schon von Beginn an unabwendbar gewesen. Im Nachhinein war klar, dass er die Macht und den Einfluss des Elfenpropheten ganz offensichtlich überschätzt hatte. Doch Ionosen war schon immer zu ängstlich gewesen, zu unentschlossen und zögerlich, auch damals schon, als er noch zusammen mit ihm im Hain gelebt hatte. Er war stets auf halber Strecke stehen geblieben, hatte gezaudert und abgewogen, beobachtet und in aller Ruhe über die Konsequenzen seiner Entscheidungen meditiert, statt zu tun, was notwendig gewesen wäre, und anscheinend hatte sich daran bis heute nichts geändert. Hätte er den Mut gehabt, der Wahrheit tatsächlich ins Gesicht zu sehen, hätte er erkannt, dass er von Anfang an nur zwei Möglichkeiten besessen hatte: Entweder er hätte Andions Mutter und ihr ungeborenes Kind auf der Stelle getötet, nachdem er ihrer habhaft geworden war, und so die Pläne seines Gegners wenn schon nicht gänzlich zunichtegemacht, so doch zumindest erheblich in ihrem Vorankommen behindert, oder er hätte Andion alles über seine besonderen Kräfte erzählen und ihn von klein auf in der Erforschung und dem Gebrauch seines immensen Machtpotentials unterweisen müssen – so er denn etwas davon gewusst hatte. Sich mit seiner so heldenhaft ertrotzten Beute siebzehn Jahre lang wie ein ängstliches Kaninchen in irgendwelchen Löchern zu verkriechen und darauf zu hoffen, dass der Blick des jagenden Falken unachtsam über sie hinwegstrich, war auf alle Fälle ein gleichermaßen naives wie vergebliches Unterfangen gewesen.
    Aber natürlich entsprach eine derartige Vorgehensweise genau Ionosens Stil. Was auch immer jedoch der Prophet letztlich von seinen Absichten und Plänen gewusst oder geahnt haben mochte, Tatsache war, dass er niemals vorgehabt hatte, seinen Sohn sofort nach der Geburt zu töten und ihm seine Elfenmagie zu entreißen. Diese Magie war bedeutungslos für ihn, hätte ihm nicht einmal ein verächtliches Zucken seiner Mundwinkel abgerungen. Nein, Andion war niemals etwas anderes als ein Gefäß gewesen, nur eine leere Hülle, die darauf wartete, gefüllt zu werden – gefüllt mit den Seelen und der Macht aller Elfen, die jemals gelebt hatten und nach ihrem Tod in die klebrige Umarmung der Quelle zurückgeholt worden waren.
    Bereits im Augenblick der Empfängnis war die Falle zugeschnappt, und Jahrzehnte sorgfältigster Vorbereitungen und Planungen waren – ob nun zum Guten oder zum Schlechten – in einem einzigen schicksalhaften Moment der Entscheidung kulminiert. Von Anfang an hatte er gewusst, dass er nur diesen einen Versuch haben würde. Ein Scheitern hätte die Seele des ungeborenen Kindes für immer ruiniert, hätte sie für seine Zwecke gänzlich unbrauchbar gemacht, und all seine Ehrfurcht gebietenden schwarzmagischen Manipulationen wären mit einem Schlag so wertlos gewesen wie ein Feuer, das in einer kalten Winternacht zu flockiger Asche heruntergebrannt war.
    Was die Angelegenheit noch ein klein wenig komplizierter gestaltete, war die Tatsache, dass er durch Ionosens heldenhaftes Eingreifen erst heute, als sich Andion vorhin im Krankenhaus mit solcher Leichtigkeit aus seinem magischen Bann befreit hatte, wirklich hatte sicher sein können, dass sein Zauber auch tatsächlich geglückt war. Zwar hatte er damals gespürt, dass irgendetwas geschehen war, aber ob die Saat, die er gelegt hatte, schließlich aufgehen würde, hatte er nicht mit Gewissheit vorauszusagen vermocht. Denn ebenso wie die Vorbereitungen und die letztliche Durchführung seines Plans eine schier unendliche Geduld erfordert hatten, so wäre er auch nach der Geburt seines Sohnes – gleichgültig ob Ionosen das Kind nun an sich gebracht hätte oder nicht – weit davon entfernt gewesen, die wahre Macht der Quelle in seinen Händen zu halten.
    Das war sowohl das Geniale als auch der Pferdefuß des ganzen Unternehmens: War der Zauber einmal erfolgreich durchgeführt worden, blieb ihm nichts anderes mehr zu tun als zu warten, bis die Zeit selbst dafür sorgen würde, dass ihm die goldenen

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