Wächter des Elfenhains (German Edition)
Körper, und für einen winzigen, atemlosen Augenblick glaubte er, sie schliefe nur. Doch das tat sie nicht. Seine feinen Elfensinne rochen das Blut, bevor er es sah – Blut, das dort, wo ihre Handgelenke das Laken berührten, zu schaurigen Rosen aus düsterem Rot erblühte.
Andion taumelte gegen den Türrahmen, klammerte sich hilflos daran fest. Er starrte auf die zarte, so zerbrechliche Gestalt seiner Mutter, versuchte verzweifelt, einen Rest von Leben in ihr zu erspüren, wie schwach und flüchtig auch immer, doch er wusste, dass es dafür längst zu spät war. Sie musste geglaubt haben, dass er tot war, und war dann auf die gleiche Art vor Ogaire geflohen, auf die sie ihn zu schützen versucht hatte.
Andion sackte in die Knie. Er wollte zu ihr gehen, wollte ihren zierlichen Körper in die Arme schließen, noch ein letztes Mal ihre Berührung spüren und den tröstlichen Duft ihres Haares riechen, aber er vermochte sich nicht von der Stelle zu rühren. Minutenlang saß er einfach nur da, blickte in das bleiche, wunderschöne Gesicht seiner Mutter, das im Tod beinahe durchscheinend wirkte, konnte nichts denken, nichts fühlen, konnte nicht einmal blinzeln. Irgendwann erhob er sich, wandte sich mit steifen Bewegungen um und verließ die Wohnung. Noch immer war sein Inneres leer, wie ausgehöhlt, und doch blieb er nicht stehen, setzte mechanisch einen Schritt vor den anderen, während er langsam und schwankend wie eine Wasserleiche, die ein finsterer Hexenmeister aus ihrem nassen Grab emporgelockt hatte, durch die belebten Straßen Oakwoods schlurfte. Es gab nur einen einzigen Gedanken, der die lähmende Betäubung zu durchdringen vermochte, eine einzige Gewissheit, die heiß in der Dunkelheit seiner Seele brannte: In der Welt der Menschen hielt ihn nun nichts mehr. Er musste fort von hier, fort von dem Ort, an dem er niemals etwas anderes als Ablehnung und Leid erfahren hatte. Wenn er noch länger blieb, würde Ogaire ihn doch noch erwischen, und dann wären Esendion und Alisera, Ionosen und seine Mutter umsonst gestorben. Das aber durfte niemals geschehen. Er biss die Zähne zusammen und schleppte sich weiter in Richtung des Parks voran.
Reglos und stumm wie der düstere graue Himmel, der sich über ihm spannte, stand Ogaire im Schatten der Bäume und wartete. Es hatte ihn etwas mehr Kraft und eine knappe Minute länger gekostet, Ionosen zu töten, als er erwartet hatte, und so hatte er sich, noch während der zerschmetterte Körper des Elfenpropheten leblos zu Boden sank, eilig tiefer ins Zwielicht des Waldes zurückgezogen, ehe sein Sohn auf die Idee kam, den einsamen Rächer zu spielen, und sich in blinder Raserei aus dem Nebel auf ihn stürzte. Eine offene Konfrontation zu diesem Zeitpunkt jedoch hätte seinen Plänen eher geschadet als genützt, hätte einen Unsicherheitsfaktor ins Spiel gebracht, dessen Einfluss auf den Fortgang der Ereignisse er – zumindest im Augenblick – noch nicht einzuschätzen vermochte. Solange sich gewisse Dinge über Andion noch seiner Kenntnis entzogen, würde er nicht das Risiko eingehen, sich einen Gegner zu schaffen, der ihm durchaus Probleme bereiten konnte.
Und so hielt er sich im Hintergrund, beobachtete aus dem Verborgenen heraus und hüllte sich in Geduld, bis der Falter zu ihm zurückkehrte und sich endgültig in dem Netz verfangen würde, das er für ihn aufgespannt hatte. Gewiss – hätte sich Andion, als er aus dem Nebel hervorkam und die Leiche Ionosens erblickte, herumgeworfen und wäre, ohne sich noch weiter um den Toten und das Schicksal seiner Mutter zu kümmern, zurück in den Hain geflohen, hätte er ihn aufhalten müssen, und Neanden wäre eben etwas früher gestorben.
Doch er hatte nicht einzugreifen brauchen. Neanden war allein, lediglich mit den blutigen Überresten seines Vaters auf den Armen, wieder in die Elfenwelt hinübergewechselt, und Andion hatte den Park in Richtung Oakwood verlassen, zweifellos, um seine Mutter zu holen.
Aber natürlich würde er zurückkommen. Der Hain war der einzige Zufluchtsort, der ihm noch geblieben war, also war dies die logische Konsequenz. Im Grunde wunderte es ihn, dass sein Sohn nicht schon längst wieder hier war.
Sein Geist wandte sich nach innen, kostete die feinen Aromen von Andions Blut, dessen unvergleichlicher Geschmack noch immer auf seiner Zunge prickelte. Er würde schnell und hart zuschlagen müssen, musste Andions Willen zerschmettern, bevor die heiße Flamme seines Zorns Gelegenheit fand, sich
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