Wächter des Elfenhains (German Edition)
wie er von der Quelle allen Lebens ins Dasein geträumt worden waren und in der warmen Umhüllung ihres Schoßes bereits auf ihn warteten, wenn dereinst der Augenblick seines Todes gekommen sein würde und er heimkehrte in den Ursprung, aus dem sie alle hervorgegangen waren. Genau das nämlich war der Haken, der die ganze Sache so verteufelt schwierig machte. Die Elfen und die Quelle waren eins, und jeder Versuch, das Herz des Waldes vollständig dem eigenen Willen zu unterwerfen, scheiterte an dieser schlichten Tatsache. Niemals würde ein Elf, gleichgültig ob mit Hilfe von Schwarzer Magie oder einem anderen Werkzeug, in der Lage sein, den letzten Schutzwall zu überwinden und zum innersten Kern der Quelle vorzustoßen, zum eigentlichen Wunder – zu den Seelen und der Macht aller Elfen, die jemals geboren worden und wieder gestorben waren. Je mehr man versuchte, die Mauern mit roher Gewalt zum Einsturz zu bringen, desto mehr war es, als schnitte man sich selbst das Fleisch von den Knochen, als beginne das Blut in den Adern zu kochen und sich das Gehirn im Inneren des Schädels in glühende Schlacke zu verwandeln.
Vielleicht war Ionosen dieser kleine Stolperstein entgangen, weil er niemals Ambitionen verspürt hatte, es einmal auszuprobieren; er hingegen wusste es besser. Vermutlich war dies der eigentliche Grund, warum der dunkle Zweig der Elfenmagie für die meisten Angehörigen seines Volkes über die Jahrtausende hinweg so wenig attraktiv gewesen war. Der Hunger nach Macht war ein Feuer, das, einmal entfacht, nach immer neuer Nahrung verlangte. Doch Elfen strebten nicht nach Macht, noch wurde sie ihnen gewährt. Das einzige Verlangen, das in ihnen brannte, war das nach Verbundenheit und Harmonie mit der Natur, eine Harmonie, die keine Unterschiede duldete, für die Gleichförmigkeit und Stagnation die höchste und einzige Erfüllung bedeutete.
Keiner seiner Artgenossen vermochte zu ermessen, wie viel Selbstbeherrschung und eiserne Willenskraft es gekostet hatte, so zu tun, als sei er einer von ihnen, wie qualvoll es gewesen war, Tag für Tag die betörende Gegenwart der Quelle zu spüren und sich vergeblich danach zu verzehren, in ihre köstlichen Tiefen hinabzutauchen. Wie konnte irgendjemand eine derart reduzierte Existenz tatsächlich als eine Gnade empfinden? Wie war es möglich, dass alle Elfen außer ihm geradezu darum bettelten, von der Quelle wie winselnde Hündchen an die Kette gelegt zu werden? Nein, das Leben im Hain war kein Paradies, war es niemals gewesen; es war nicht mehr als ein dumpfes Dahinvegetieren hinter Kerkermauern, nichts anderes als der hilflose Versuch, seinen qualvollen Hunger an der borkigen Rinde eines verkrüppelten Baumes zu stillen, während nur wenige Meter weiter oben unerreichbar die goldenen Äpfel hingen.
Und doch gab es eine Möglichkeit, den Widerstand der Quelle zu brechen und sich zu nehmen, was sie so argwöhnisch vor ihm verborgen hielt, und er hatte darauf hingearbeitet, seit er zum ersten Mal bei seinen magischen Studien auf entsprechende Hinweise gestoßen war. Die Waffe, mit der er seinen Gegner zu Fall bringen würde, war von einer geradezu verblüffenden Schlichtheit und Eleganz, und hätte er bereits früher mehr Zeit unter den Menschen verbracht, wären seine Überlegungen vermutlich schon viel eher in die richtige Richtung gelenkt worden.
Vermag deine Armee die Festung deines Feindes nicht zu bezwingen, so schleiche dich durch die Hintertür herein. Es war eine List, die in der kriegerischen Historie der Menschheit in mehr als einer Schlacht ihre blutige Anwendung gefunden hatte, und sie hatte ihm geholfen, sein kleines Problem mit der Quelle aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Und plötzlich erkannte er die Schwachstelle, die die ganze Zeit offen vor seinen Augen gelegen hatte, den morschen Balken, der die trutzige Zitadelle wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen lassen würde. Gegen den Zugriff eines Elfen vermochte sich die Quelle wirkungsvoll zu schützen – oder besser gesagt, bedurfte sie in dieser Hinsicht überhaupt keines Schutzes, da eine solche Möglichkeit offensichtlich so sehr gegen die natürliche Ordnung der Schöpfung verstieß, dass sie schlechterdings nicht existierte. Ein Mensch jedoch – einer, in dessen Blut das Erbe der Elfen noch so lebendig war, dass er die sublimen Kräfte und Mysterien der Natur mit seinen verkümmerten inneren Sinnen beinahe noch zu spüren vermochte, aber andererseits nicht so sehr Elf, dass bei
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