Wächter des Elfenhains (German Edition)
jedem Herumwerfen seines Kopfes und bei jedem seiner Versuche, einen seiner Widersacher zu fassen zu bekommen, unweigerlich den Rest seines Körpers entblößte und sogleich einem Dutzend weiterer Gegner eine Möglichkeit zum Angriff bot, so wirkte auch die Mauer von Ogaires Willen mit einem Mal weniger massiv, schienen die tödlichen Dornen nicht mehr so spitz und unüberwindlich wie noch einen Augenblick zuvor. Doch noch immer war er mit der Quelle verbunden, noch immer würde jede Wunde, die sie ihm zufügten, auch das Herz des Waldes bluten lassen.
Eine solche Wunde aber würde gar nicht nötig sein. Noch während Andion mit seinem Willen auf Ogaire zujagte, spürte er, wie die Magie seiner Verbündeten wie gewaltige Hagelkörner auf den Schutzschild seines Vaters niederprasselte, wie die Mauern des Kerkers, hinter denen die gefangenen Elfenseelen wild an ihren Ketten rissen, fast durchscheinend wurden. Es war nur ein Moment, ein winziges Flackern im Bollwerk von Ogaires Konzentration, doch es genügte Andion. Der Fokus seines Willens änderte sich, dehnte sich und floss auseinander wie Wasser, das über eine Schwertklinge rinnt, glitt lautlos in die haarfeinen Risse, die sich plötzlich im Verteidigungswall seines Gegners auftaten. Er spürte Ogaires brutale Wildheit, mit der er sich der Attacken seiner Angreifer zu erwehren versuchte, doch dieser Zorn galt nicht ihm, sondern dem knurrenden Rudel Wölfe, das von allen Seiten über ihn herfiel.
Ohne von der Faust des Riesen auch nur berührt zu werden, sank Andion tiefer, tastete sich so behutsam voran wie Nebel, der in der Dämmerung durch die Ritzen von Fenstern und Türen kriecht, füllte jeden winzigen Riss, auf den er stieß, mit seiner unsichtbaren Gegenwart. Und dann, so jäh und unvermittelt, als sei er von einem Sekundenbruchteil zum anderen aus dem strahlenden Licht des Tages in einen finsteren Abgrund gestürzt, war er hindurch, lag die tödliche Mauer aus Dornen und Eis hinter ihm, und der Geist seines Vaters breitete sich vor ihm aus.
Die gefangenen Elfenseelen hatten nur auf diesen Augenblick gewartet. Sie stemmten sich gegen die unsichtbaren Fesseln, die sie banden, streckten sich ihm entgegen, und Andion griff zu, hüllte sie in seinen Geist wie in einen Mantel, der die sengenden Peitschenhiebe von Ogaires Willen von ihnen abgleiten ließ, durchtrennte die Fäden des diabolischen Puppenspielers, der sie schon viel zu lange nach seiner eigenen schrecklichen Melodie zu tanzen zwang. Ein Aufschrei des Triumphs durchtoste ihn, und wie ein Ozean, der von steinernen Mauern nicht länger gewaltsam in eine andere Form gepresst wird, wogten mit einem Mal die Seelen der befreiten Elfen um ihn herum, warfen sich ungestüm in das Leuchtfeuer, das er in der Dunkelheit für sie entzündet hatte, und jagten an dem leuchtenden Strang seines Willens entlang der Freiheit entgegen.
Andion konnte spüren, wie sie in ihn hineintauchten, sich mit ihm verbanden, eingingen in das Reservoir der Seelen, die bereits in ihm wohnten. Und mit jeder von ihnen, der die Flucht gelang, schmolz Ogaires Kraft ein winziges Stückchen mehr dahin, wurde er mehr zu der gewöhnlichen, von der Gier nach Macht zerfressenen Kreatur, die er einst gewesen war.
Da zuckte plötzlich ein greller Blitz durch die Finsternis, und eine Lohe aus Zorn und ungläubigem Erschrecken loderte heiß über Andion hinweg. Gleichzeitig spürte er, wie sich Ogaires geistiges Auge wie der Blick einer monströsen Spinne auf ihn richtete, wie er begriff, was mit ihm geschah – und handelte.
Ein eisiger Wind schien mit einem Mal über die Lichtung zu fegen, dann verdunkelte sich der Himmel, und ein unheimliches Summen erfüllte die Luft, ein gespenstisches Rauschen und Vibrieren, als hätten sich alle Insektenschwärme der Welt zugleich aus ihren Nestern erhoben, um mit zornigen Flügelschlägen dem Schauplatz ihres Kampfes entgegenzueilen. Erschrocken zog sich Andion aus Ogaires Geist zurück, und die Verbindung zu den befreiten Elfenseelen riss.
Nur einen Herzschlag später fielen die Sylphen über ihn her. Sie stürzten sich aus dem düsteren Himmel herab, brachen in dichten Wolken zwischen den schwarzen, skelettierten Büschen und Bäumen hervor, quollen in wimmelnden Trauben aus Astlöchern und Erdhöhlen. Andion spürte den Hass in ihnen, spürte ihre widerwärtige, deformierte Seele, die von Ogaires Schwarzer Magie entstellt und gebrochen worden war, spürte ihre wahnsinnige Gier, sich mit Klauen und
Weitere Kostenlose Bücher