Wächter des Elfenhains (German Edition)
nicht so schnell!“
Andion sah zur Seite, biss sich auf die Lippe.
„Sag mir deinen Namen!“
Andion zögerte. „Ryan ... Ryan McKay.“
Die Lüge sank wie ein Stück Blei in seinen Magen. Er hasste es zu lügen, aber was zählte das? Schon sein Name war bereits falsch. Er trug ihn, wie schon ein Dutzend anderer Namen zuvor, zum Schutz vor seinem Vater, trotzdem schmeckten die Worte schal und bitter auf seiner Zunge. Ohnehin würden Mr. Perry vermutlich vor schockiertem Unglauben die Augen aus dem Schädel quellen, würde er auch nur ahnen, wie gut sein Vormund Ian im Urkundenfälschen war.
Doch auch ohne die Lüge zu erkennen, blieben die eisgrauen Augen des Direktors mit grimmigem Blick auf ihn gerichtet.
„Welcher Tag?“
„Der 14. Juli.“
„Jahr?“
„2013.“
Mr. Perry atmete tief durch. „Wenigstens scheinst du keine Gehirnerschütterung zu haben.“
Andion sah nicht auf. Er hoffte inständig, dass der Mann nun zufrieden war und er endlich von hier verschwinden konnte. Doch offenbar hatte man ihn nicht ohne Grund ins Büro des Direktors statt in den nächsten Rinnstein befördert. Mr. Perry starrte ihn einen Moment lang schweigend an, dann schüttelte er den Kopf und stieß ein unwilliges Schnaufen aus.
„Sag mal, McKay, bist du eigentlich noch klar bei Verstand?“
Andion schluckte. „Ja, Sir“, murmelte er.
„Tatsächlich?“ Zorn mischte sich unüberhörbar in die Stimme des Direktors. „Das bezweifle ich! Verdammt, McKay, warum um alles in der Welt legst du dich immer wieder mit Kenneth und seinen Schlägern an? Du müsstest doch allmählich wissen, dass du dabei jedes Mal den Kürzeren ziehst.“
Andion spürte, wie ihm unter Mr. Perrys vorwurfsvollen Worten der Hals eng wurde. „Ich ... ich wollte die drei nicht provozieren.“
„Ach nein? Dafür ist es dir aber hervorragend gelungen! Himmel, es ist gerade einmal zwei Wochen her, seit du dir das letzte Mal eine blutige Nase geholt hast.“
Andion starrte auf seine Hände. „Es tut mir leid.“
Mr. Perry lachte humorlos. „Leid? Das genügt mir nicht. Du stiftest ständig Unfrieden, McKay, und ich will, dass das aufhört!“ Sein harter Griff schloss sich erneut um seinen Arm. „Schwöre, dass du dich in Zukunft von Kenneth und den anderen fernhalten wirst!“
Andion presste bitter die Lippen zusammen. Er suchte den Konflikt nicht, das hatte er nie, aber wie könnte er tatenlos danebenstehen, wenn die drei einem hilflosen Lebewesen Leid zufügten?
„Das kann ich nicht.“
Mr. Perry ließ ihn abrupt los. „Zur Hölle, McKay, was ist bloß los mit dir? Trägst du irgendeinen geheimen Todeswunsch mit dir herum? Wenn es so ist, sag es gleich! Dann werfe ich dich eigenhändig aus meiner Schule!“
„Aber ...“
„Glaubst du, ich warte darauf, dass man dich in einem Leichensack hier herausschleppt?“
„Sie könnten auch Kenneth Frey und seine Kumpane von der Schule weisen. Immerhin waren sie es und nicht Ryan, die den Streit mit so viel Gewalt geführt haben.“
Mr. Perry wandte sich stirnrunzelnd um. Auch Andion hob den Blick. Erleichtert atmete er auf. Ian war gekommen. Sein Vormund schaute nur kurz zu ihm hinüber, dann richtete er seinen herausfordernden Blick erneut auf den Direktor.
Dessen Gesicht verdüsterte sich. „Ah. Wie immer als einer der Ersten am Unfallort, was, Mr. Muldoon? Verlassen Sie diese Schule eigentlich auch irgendwann einmal?“
Ian klopfte auf die Brusttasche seines Hemds, in der sich der Umriss eines Handys abzeichnete.
„Ihre Sekretärin hat mich angerufen.“
„Und natürlich waren Sie zufällig gerade in der Nähe!“
Ian lächelte. „So ist es.“
Mr. Perrys Augenbrauen zogen sich mürrisch zusammen, aber offenbar wusste er nicht, wie er auf Ians entwaffnende Freundlichkeit reagieren sollte.
Andion schaute seinen Vormund nachdenklich an. Mit Zufall hatte sein schnelles Auftauchen nichts zu tun. Ian war tatsächlich immer in seiner Nähe – ein unsichtbarer Schatten, der über ihn wachte, der ihm seine Kraft und seine Zuversicht schenkte seit dem Augenblick seiner Geburt; ein Ritter in schimmernder Rüstung, dessen starke Arme ihn stützten, wenn seine Schritte in der Dunkelheit zaghaft und unsicher wurden, und der seinen Mantel schützend über ihn breitete, wenn die Gespenster aus seinen Albträumen in der Nacht seinen Namen heulten. Unwillkürlich glitt Andions Hand nach unten, berührte den kleinen, tröstlich vertrauten Gegenstand, der in seiner rechten Hosentasche
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