Wächter des Elfenhains (German Edition)
vergangenen Tagen, je weniger der Zauber der Magie einen Platz in den Herzen der Menschen fand. Ogaires Verrat hatte diese Entwicklung lediglich beschleunigt, den Elfen ihre eigene Ohnmacht nur noch unerbittlicher vor Augen geführt. Doch Ionosen konnte nicht wie die anderen den Kopf senken und resigniert auf das Ende warten. Seine besondere Gabe hatte er direkt aus dem Quell des Lebens erhalten, aus dem Herzen des Hains, und er spürte, dass der Hain nicht sterben wollte. Trotz der schrecklichen Wunde, die Ogaire ihm geschlagen hatte, wollte er leben, wollte nicht wie Rauch im Nebel der Zeit verwehen oder ausgesaugt werden wie ein Insekt, das in das Netz einer hungrigen Spinne geraten war. Ionosen konnte sich diesem Bedürfnis nicht widersetzen. Er hätte es auch nicht gewollt. Von Beginn an hatte er sein Leben und seine Fähigkeit dem Schutz des Hains gewidmet, und nicht einmal die ausdrücklichen Befehle des Rates konnten ihn davon abhalten, seiner Bestimmung zu folgen.
Also ignorierte er die Weisung der Ältesten, sich nicht länger mit Ogaire zu befassen, verließ seine Frau Nisellara und seinen Sohn Neanden und begab sich in die Menschenwelt. Dort spürte er Ogaire auf und befreite das Mädchen, das dieser zur Mutter seines zweiten Sohnes erkoren hatte, noch bevor das Kind geboren wurde. So konnte Ogaire seinen wahnsinnigen Plan nicht in die Tat umsetzen.“
Andion runzelte verwirrt die Stirn. „Warum hat er sich nicht einfach eine neue Frau genommen?“
Ian lächelte dünn. „Weil das nicht so einfach ist. Menschen und Elfen besitzen zwar gemeinsame Wurzeln, doch es ist schon unendlich viel Zeit vergangen, seit sich die Völker getrennt haben. Ogaire musste für seine Zwecke eine Frau finden, deren Vorfahren irgendwann einmal einen Pakt mit einem Elfen geschlossen hatten. Ein Hauch von Elfenmagie musste bereits in ihrem Blut liegen, oder sie hätte kein Kind von ihm empfangen können.“
„Ich verstehe.“ Andion spürte, wie sich sein rasender Herzschlag allmählich beruhigte. „Es wird wohl kaum viele solche Frauen geben.“
„Ogaire brauchte über siebzig Jahre, um auch nur eine zu finden.“
Schon schnellte sein Puls erneut in die Höhe, als ihm klar wurde, was das bedeutete. „Dann hat er doch aber sicher versucht, sein Kind wieder zurückzubekommen.“
Ian schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick aus der Ferne in die Gegenwart zurückgekehrt, und sein steinernes Gesicht füllte sich mit neuem Leben.
„Das ist eine andere Geschichte.“
Was so viel hieß, dass er heute nichts mehr davon erzählen würde.
Andion atmete tief durch. Er wusste nicht, ob er Ian wegen seiner Geheimniskrämerei danken oder verfluchen sollte. Einerseits sträubte sich jede Faser seines Körpers dagegen, auch nur noch ein einziges weiteres Wort über Ogaire zu hören, und es schauderte ihn jetzt schon, wenn er an die Träume der kommenden Nacht dachte, andererseits jedoch hätte er wirklich gern erfahren, ob das Kind in Sicherheit war oder nicht.
Seufzend ließ er sich rückwärts ins weiche Gras sinken und versuchte, endlich mit dem Zittern aufzuhören. Was nicht leicht war, vor allem weil er das beklemmende Gefühl hatte, als hätte Ian ihm mit seiner düsteren Erzählung in einen Spiegel blicken lassen – einen Spiegel, in dem er sich selbst sah.
Vermutlich hatte Ian deshalb über diesen Teil der Geschichte so lange geschwiegen. Er hatte ihn nicht noch mehr ängstigen wollen. Doch instinktiv hatte er die Parallelen wohl immer gespürt. Zweifellos handelten aus diesem Grund stets alle seine Albträume von Ogaire. Sein Unterbewusstsein hatte einfach seinen Vater, den er niemals kennengelernt hatte, durch Ogaire, dessen Gestalt fiktiv, aber durch Ians Erzählungen für ihn immer greifbar und lebendig gewesen war, ersetzt.
Beinahe gegen seinen Willen legte sich ein Lächeln auf seine Lippen, und er bemerkte erstaunt, wie zumindest ein kleiner Teil seiner Anspannung von ihm abfiel. Ians Sorge war unnötig gewesen. Auch wenn er noch immer bibberte wie ein geschorenes Lamm, das auf seinem nackten Hintern eine Bobbahn hinunterrutschte, war doch zumindest eines ausgesprochen tröstlich: So abartig und verrückt sein eigener Vater auch sein mochte, an Ogaires titanenhafte Abscheulichkeit kam er ganz sicher nicht heran.
Andions Lächeln wurde breiter. Manchmal tat es gut, sich daran zu erinnern, dass die Realität trotz allem vielleicht doch gar nicht so übel war, und es war beruhigend, die
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