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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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Gewissheit zu spüren, dass, auch wenn sie in noch so blumigen Worten beschrieben wurden, manche Schrecken niemals Wirklichkeit werden würden.

4. Kapitel

    Schließlich wurde es Zeit, nach Hause zu gehen. Kurz bevor sie ihr kleines Haus betraten, blieb Andion stehen, starrte einen Moment lang schweigend auf die unscheinbare graue Fassade des Gebäudes, dann atmete er tief durch, und seine Hand verschwand in der Hosentasche, in der wie immer sein Handy steckte – eine Bewegung, die ihm nach den vielen Jahren der Wachsamkeit und ständigen Furcht längst so sehr in Fleisch und Blut übergegangen war, dass er sie kaum noch bewusst wahrnahm, ein weiteres Ritual, das dazu diente, die Bruchstücke seines seltsamen Lebens zusammenzuhalten und die Schrecken der Vergangenheit nicht leichtfertig aus ihrer finsteren Höhle hervorzulocken. Wenn er mittags aus der Schule kam oder mit Ian im Park gewesen war, oder auch wenn er nur kurz die Wohnung verließ, um im Supermarkt um die Ecke eine Tüte Milch zu kaufen, rief er stets seine Mutter an, damit sie wusste, dass er es war, der die Tür öffnete.
    Im schmalen Hausflur nickte Ian ihm zum Abschied zu. Er bewohnte das Appartement im Erdgeschoss, Andion und seine Mutter das ein Stockwerk darüber, doch obwohl sie nun schon fast zwei Jahre so dicht nebeneinander im selben Haus lebten, schien es Andion manchmal, als lägen die beiden Wohnungen in unterschiedlichen Welten. Ian kam nie mit ihm nach oben, aß niemals mit ihnen und leistete ihnen auch in der Freizeit nie Gesellschaft. Im Haus blieb er stets für sich allein, dabei hätte er jederzeit für ein kleines Schwätzchen bei ihnen vorbeischauen können, wenn ihm der Sinn danach gestanden hätte, denn natürlich besaß er ebenso einen Schlüssel zu ihrem Appartement, wie Andion zu dem seinen. Und doch benutzte er diesen Schlüssel nur zu einem einzigen Zweck.
    Es waren jene Momente, die Andion am meisten von allen fürchten gelernt hatte. Denn Ian machte keine Freundschaftsbesuche. Wenn er es für nötig erachtete, seine selbst gewählte Isolation aufzugeben, dann bedeutete das mit unabänderlicher Gewissheit, dass Andion – wieder einmal – versagt hatte. Ian tat dann, was auch immer in einem solchen Fall getan werden musste – und verschwand anschließend so schnell wieder in seiner Wohnung wie ein Geist, den das Licht der Morgendämmerung gemahnt, bis zum nächsten Sonnenuntergang in seine düstere Gruft zurückzukehren.
    Traurig ließ Andion den Kopf hängen. Jeden Tag hoffte er, es wäre anders, jeden Tag wurde er aufs Neue enttäuscht. Aber warum nur, warum? Konnten sie nicht wenigstens einmal so tun, als seien sie eine ganz normale Familie – eine Familie, die gemeinsam in der Küche stand und Spaghetti kochte, sich einen Krimi im Fernsehen anschaute oder an einem verregneten Abend eine Partie Mensch-ärgere-dich-nicht spielte, die zusammen lachte und fröhlich war?
    Solange sie im Park spazieren gingen, machte es Ian doch auch nichts aus, ihm ein väterlicher Freund zu sein! Doch kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, ging er auf Distanz, und jede Illusion familiärer Geborgenheit stürzte so jäh in sich zusammen wie der Bauklötzchenturm eines kleinen Kindes, das sich noch im Augenblick des Fallens verzweifelt an die Hoffnung klammert, das unausweichliche Verhängnis mit seinen zittrigen Händen um ein paar bedeutungslose Sekunden hinauszögern zu können. Nein, sie waren keine Familie. Sie waren bestenfalls eine Zweckgemeinschaft. Doch welchem Zweck diente sie?
    Dumpf starrte er auf die Tür zu Ians Wohnung, die sich längst hinter ihm geschlossen hatte. Er wurde einfach nicht schlau aus Ian. Wie war es möglich, dass er sich einerseits so bedingungslos einem Kampf verschrieben hatte, der nicht der seine war und bei dem niemand ihm einen Vorwurf gemacht hätte, wäre er einfach eines Tages aufgestanden und auf Nimmerwiedersehen in den Sonnenuntergang marschiert – schließlich war er nicht mit ihnen verwandt, und es bestand für ihn keinerlei Notwendigkeit, sein eigenes Leben für sie zu opfern -, und es andererseits Zeiten gab, in denen er Andion beinahe gewaltsam von sich stieß und schmerzhaft offenkundig wurde, dass sie ohne die schrecklichen Ereignisse, die vor 17 Jahren zu seiner Geburt geführt hatten, vermutlich niemals etwas anderes als Fremde füreinander geblieben wären?
    Doch waren sie tatsächlich mehr als das? Was wusste er schon wirklich über Ian? Was kannte er von ihm außer seinem Namen,

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