Wächter des Elfenhains (German Edition)
stolzer, aufrechter Haltung, die ihren gebrechlichen Körper Lügen strafte, und ihr Herz hatte vor Furcht und banger Hoffnung aufgeregt in ihrer Brust geklopft, während er ihr mit zuversichtlichem Lächeln ein neues Medikament in die Vene injizierte.
Natürlich war es eine Farce gewesen, nur ein alberner Mummenschanz, um seine eigentlichen Absichten zu verschleiern, denn die Tür zurück in ihr Leben war schon längst hinter ihr ins Schloss gefallen, und keiner Macht dieser Welt würde es gelingen, sie wieder aufzustoßen. Wie immer, so hatte auch in ihrem Fall die ausbleibende Wirkung des Medikaments zuverlässig dafür gesorgt, dass das mühsam zusammengehaltene Kartenhaus ihrer Entschlossenheit endgültig zum Einsturz gebracht worden war und die Kraft ihres Willens, die schon zuvor nicht ausgereicht hatte, um eine Heilung zu bewirken, unwiderruflich in den Abgründen ihrer Resignation und Mutlosigkeit versickerte.
Nun war der Augenblick gekommen, auf den er gewartet hatte. Er würde tun, wozu kein Arzt und kein Medikament der Welt imstande waren: Er würde ihr ein neues Leben schenken.
Bar jeder Regung trat Ogaire an ihr Bett. Leben zu geben bedeutete ihm genauso wenig wie Leben zu nehmen; beides war lediglich Teil eines Spiels, das zu spielen ihm Ionosen vor 17 Jahren aufgezwungen hatte, und er würde seine Spielfiguren ziehen, solange es nötig war. Und im Moment war ein kleines medizinisches Wunder das, was ihm am meisten nützen würde, um den Strom verzweifelter Patienten, die bei ihrer Anmeldung im Oakwood General Hospital ausdrücklich nach dem begnadeten Doktor Wicklow verlangten, niemals abreißen zu lassen, wusste doch mittlerweile nahezu jeder Kranke in der Stadt, dass er mit seinen Behandlungsmethoden oft unerwartete Erfolge erzielte, mit denen längst niemand mehr gerechnet hatte.
Ohne Eile zog er ein kleines Skalpell aus einer der Taschen seines Ärztekittels hervor. Ob zum Töten oder zum Heilen, für beides brauchte er das Blut des Menschen, dessen Lebenskraft er mit seiner Elfenmagie berühren würde. Gelassen setzte er die Klinge an den Arm der Frau und drückte zu, dann tippte er mit der Fingerkuppe in das Blut, das in einem dicken dunklen Tropfen aus dem Schnitt hervorquoll.
Es waren Bewegungen, auf die er nach tausendfacher Wiederholung nicht mehr die geringste Aufmerksamkeit verwenden musste. Er hob die Hand, legte sich den Tropfen behutsam auf die Zunge, schmeckte das faulige Aroma von Krankheit und Tod, das ihm entströmte wie der Verwesungsgestank eines Tierkadavers, der in der Sommerhitze langsam vor sich hin rottete, dann fokussierte er seinen Willen. Mühelos schlug er eine Brücke zur Lebenskraft der Frau, bohrte seinen Geist tief in die fast erloschene Glut, die einst so strahlend und hell in ihr gebrannt hatte.
Doch als er gerade damit beginnen wollte, seine Elfenmagie in sie hineinzupumpen, um zu tun, wozu ihr eigener Wille nicht mehr imstande war, hob er abrupt den Kopf. Ein sanftes Wispern wehte plötzlich durch seine Seele, eine süße Melodie voller Freude und Sehnsucht, unendlich vertraut selbst nach all den Jahren, in denen er sich hinter den Mauern seiner finsteren Magie verborgen gehalten hatte. Und doch wirkte ihr Klang eigenartig schwach und fern, schienen die hellen Töne ängstlich vor ihm zurückzuweichen, fast als hüteten sie ein Geheimnis, das sie furchtsam vor ihm zu schützen versuchten.
Ogaire sandte seinen Geist aus, ließ ihn blitzartig an dem schimmernden Strang entlanggleiten, der ihn auch hier in der Menschenwelt mit dem Herzen des Hains verband. Er kam wie ein eisiger Sturmwind über den Hain, fegte seinen zaghaften Widerstand beiseite und zwang die Quelle des Ursprungs brutal unter die Herrschaft seines Willens.
Sofort wurde das Flüstern in seiner Seele lauter, kraftvoller. Der Ruf des Hains. Doch er galt nicht ihm. Er galt seinem Sohn. Endlich war der Augenblick gekommen, auf den er all die Jahre gewartet hatte.
Ogaire gab sein Opfer frei und spürte sogleich, wie das Herz des Waldes vor ihm zurückzuckte, furchtsam und voller Zorn, doch er verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Noch immer schmeckte er das Blut der Frau auf seiner Zunge, noch immer lag ihr Leben in seiner Hand. Mit einem beiläufig geflüsterten Wort trieb er die stählerne Klinge seines Willens tief in sie hinein, packte das verdorrte Pflänzchen ihrer Lebenskraft und riss es ihr mit einem einzigen brutalen Ruck zusammen mit den wenigen armseligen Fetzen Magie, die sie
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