Wächter des Elfenhains (German Edition)
wissen! Doch Ionosen wandte den Blick von ihm ab, und seine Miene versteinerte noch mehr.
„Darauf werde ich dir keine Antwort geben.“
„Aber ...“
„Nicht heute, und auch nicht morgen! Niemals.“
Andion schrak vor der Kälte in Ionosens Stimme zurück. Dunkelheit schien wie eine gewaltige Woge über ihm zusammenzuschlagen. Also war es doch so, wie Rilcaron gesagt hatte. Er hatte den Namen Andion nicht verdient. Wäre es anders, hätte Ionosen ihm sicher geantwortet. Aber er schwieg, da er eine Lüge natürlich hätte erkennen können.
Drei, vier qualvolle Minuten blieb Andion stumm, kämpfte verbissen gegen die Tränen, die heiß in seinen Augen brannten. Es kostete ihn unsägliche Mühe, schließlich doch noch eine Frage zu stellen.
„Wie ... wie geht es jetzt weiter?“
Ionosen hob die Schultern; seine Miene blieb unbewegt, ließ keines seiner Gefühle nach außen dringen. „Wie bisher. Du wirst weiter in die Schule gehen. Falls Ogaire die Schulen durch Detektive überwachen lässt, wäre es unklug, wenn du noch länger fernbliebest. Du kannst ohnehin von Glück sagen, dass der Ausschluss vom Schulbetrieb, mit dem dein Direktor dich bestrafen wollte, eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Ruf des Hains und deinem Fehlen nicht so leicht feststellbar macht. Würde ich dich jetzt allerdings gänzlich von der Schule nehmen, würde das einem aufmerksamen Auge mit Sicherheit nicht entgehen, und es könnten Fragen gestellt werden, die keiner von uns beantworten will.“
Andion senkte den Kopf. Die Schule war der letzte Ort, an den er zurückkehren wollte. Doch Ionosen hatte recht. Sie durften keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich lenken. Aber wie lange konnte ihnen dieses Versteckspiel noch gelingen?
13. Kapitel
Die Schule wurde nicht so schlimm, wie Andion befürchtet hatte. Es schien, als habe der Aufenthalt im Hain ihn auf eine Weise körperlich und geistig gestärkt, die er noch eine Woche zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Fast kam es ihm wie ein Wunder vor, und doch dauerte es eine geraume Weile, bis die Veränderung tatsächlich in seine bewusste Wahrnehmung drang – was vermutlich zum Teil daran lag, dass er bereits in den wenigen Tagen, die er von den Beschränkungen der Menschenwelt befreit gewesen war, die natürliche Kraft und Vitalität seiner Elfenseele als so selbstverständlichen Teil seines Wesens zu akzeptieren gelernt hatte, dass ihm nun, da die Geisterbahn seines Lebens ihre Pforten erneut für ihn geöffnet hatte, gar nicht mehr auffiel, wie wenig ihn die um ihn herumtanzenden Gespenster und Dämonen noch zu schrecken vermochten. Zwar wusste er nicht, wie lange diese wundersame Verwandlung anhalten würde, aber er genoss jeden einzelnen Augenblick davon. Er genoss es, nicht mehr beim ersten Schritt in das alte, düstere Schulgebäude das Gefühl zu haben, bei lebendigem Leib in Beton gegossen oder von einem titanischen Schraubstock langsam zu Brei gequetscht zu werden, sondern zum allerersten Mal, solange er denken konnte, trotz der massiven Steinmauern um sich herum das ruhige und gleichmäßige Heben und Senken seines Brustkorbs zu beobachten und zu spüren, wie der Atem in seine Lunge strömte, ohne sich zuvor an seiner qualvoll zusammengeschnürten Kehle mühsam seinen Weg vorbei bahnen zu müssen.
Und das war noch nicht alles. Durch seine Erlebnisse bei den Elfen und Ionosens behutsame Unterweisungen ermutigt, begann er, zuerst zögernd, dann immer selbstbewusster werdend, die Möglichkeiten und Grenzen seiner eigenen magischen Fähigkeiten zu erkunden.
In den folgenden Wochen wurde er für die Augen seiner Mitschüler und Lehrer wahrhaft unsichtbar. Sie konnten ihn zwar noch sehen, wussten, dass er da war, doch kein Blick konnte ihn festhalten, und jegliche Aufmerksamkeit lenkte er allein durch die Kraft seines Willens von sich ab.
Aber obwohl er so weniger Schwierigkeiten hatte als früher, wuchs in ihm eine beständige Unruhe heran, die von Tag zu Tag größer wurde. Er vermisste den Hain. Es gab nicht eine Stunde, nicht eine Minute, in der er sich nicht dorthin zurücksehnte, und dass er nun in der Lage war, zu jeder Zeit die Realität des Hains hinter der der Menschenwelt zu sehen, so wie damals, als Kenneth und seine Kumpane ihn auf dem Schulhof verprügelt hatten, nährte das Brennen in seinem Herzen eher noch, statt es zu lindern.
In heftigen Anwandlungen von Größenwahn glaubte er manchmal sogar zu spüren, dass auch er vermisst wurde. Natürlich
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