Wächter des Elfenhains (German Edition)
nicht von den Elfen, das gewiss nicht, dafür aber von den Blütenfeen und Sylphen, den Dryaden und Kobolden und all den anderen Wesen des Kleinen Volkes, die ihn bei seinem Erscheinen auf der Lichtung mit so viel überschwänglicher Freude willkommen geheißen hatten; vielleicht sogar von den Bäumen selbst, den gewaltigen Eichen und Tannen, den Kastanien und Buchen und Föhren, und von ihren kleineren Geschwistern, den Büschen, Blumen und Gräsern. Manchmal, wenn er das Gefühl hatte, die rauschenden grünen Wipfel des Waldes beinahe mit den Händen greifen zu können und den würzigen Duft der Blätter und Tannennadeln roch, der mit einem unsichtbaren Wind über die Grenze zwischen den Welten zu ihm getragen wurde, schien es ihm, als könne er hinter all dem die gütige Präsenz einer sanften, uralten Wesenheit spüren, einer Wesenheit, die auf eine wundersame, unendlich tröstliche Weise auch mit ihm selbst verbunden war, und er stellte sich vor, dies müsste der Quell der Lebenskraft und Magie sein, von dem Ionosen gesprochen hatte.
Aber das war vermutlich nur eine naive Wunschfantasie, geboren aus Einsamkeit und Sehnsucht. Wieso sollte auch das Herz des Waldes, das von Ogaire so grausam verletzt und missbraucht worden war, ausgerechnet ihm Aufmerksamkeit und Zuneigung schenken? Bei seinem Erbe konnte er froh sein, wenn der Hain ihn überhaupt noch einmal zu sich rief.
Dennoch wartete er darauf, wartete so sehr, dass er für kaum mehr etwas anderes Kraft fand und vermutlich bereits nach wenigen Schulstunden einen Rattenschwanz neuer Strafarbeiten oder Unterrichtsverweise hinter sich hergeschleppt hätte, hätte er nicht mit einem letzten winzigen Rest seines Willens dafür gesorgt, dass auch seine Mitschüler und Lehrer ihn weiterhin ignorierten.
Auch heute war es so. Mit gesenktem Kopf saß er in Mr. Colegraves Unterricht, ohne auch nur ein einziges Wort des fetten Geschichtslehrers oder seiner Klassenkameraden bewusst wahrzunehmen. Er hörte das leise Murmeln ihrer Stimmen, fern und bedeutungslos wie das monotone Brummen der Autos auf den Straßen jenseits der Mauern, während er mit brennenden Augen auf die Tischplatte starrte und verzweifelt in sich hineinhorchte, voll qualvollen Verlangens auf die zarten Töne einer Melodie lauschte, die einfach nicht erklingen wollte.
Hatte ihn der Hain für unwürdig befunden? Machte er sich nur selbst zum Narren, indem er auf etwas hoffte, das niemals geschehen würde? Beinahe vier Wochen waren bereits vergangen, seit er aus dem Hain zurückgekehrt war! Für einen Elfen war das vermutlich eine lächerliche Zeitspanne, aber er war zur Hälfte ein Mensch. Und einem Menschen konnte ein Monat seines Lebens durchaus wie eine Ewigkeit vorkommen, zumal Ionosen keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass er, gerade weil neben seinem elfischen auch menschliches Blut in seinen Adern floss, höchstwahrscheinlich schon sehr bald wieder in den Hain zurückgerufen werden würde.
Obwohl er sich vor allem körperlich so erfrischt und lebendig fühlte wie nie zuvor, hatte er noch immer Ionosens eindringliche Warnungen im Ohr, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein würde und er im Augenblick mehr einem Marathonläufer glich, der, vom Jubel der Zuschauer getragen, nicht bemerkte, dass er schon längst dem Zusammenbruch nahe war.
Was offensichtlich, so wie die Dinge lagen, auch gar nicht anders sein konnte. Wann immer er daran dachte, spürte Andion, wie Bitterkeit und Enttäuschung in ihm zu brodeln begannen und sich seine Hände unter der Tischplatte zu Fäusten ballten. Hätten ihn die verdammten Elfen mit ihrem Hass und ihrer Verachtung nicht so schnell aus ihrem Wald vertrieben, würde er sich jetzt nicht so sehr danach verzehren, wieder dorthin zurückzukehren. Auch in diesem Punkt waren Ionosens Worte von schmerzhafter Eindeutigkeit gewesen. Bedachte man sein – gemessen an der Lebensspanne eines Elfen – geradezu lächerlich geringes Alter, zudem die permanente psychische Ausnahmesituation, in der er sich seit seiner Geburt befand, und nicht zuletzt die Tatsache, dass die Mischung seiner Gene, um es freundlich auszudrücken, durchaus ein wenig eigenwillig geraten war, hätte er eigentlich die nächsten Jahre im Hain verbringen müssen – Jahre, in denen er, behütet und gestärkt von den heilenden Kräften des Waldes, auf sanfte Weise hätte lernen können, sich an die fundamentalen Veränderungen seiner Existenz anzupassen, die mit so unerwarteter Heftigkeit über ihn
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