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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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fest seine Schulter gegen den Brustkorb, dass Andion alle Anstrengung darauf verwenden musste, keuchend nach Atem zu ringen, statt seine Kräfte weiterhin damit zu verschwenden, gegen die stählerne Umklammerung seines Befreiers aufzubegehren und sich in einen Kampf zu stürzen, bei dem sein Widersacher vermutlich nicht einmal seine Kaffeetasse würde abstellen müssen, während er ihn mit einem gelangweilten Gähnen in ein Schlackehäufchen verwandelte.
    Ionosen lief die gesamte Strecke bis zum Park und schien trotz der Last, die er auf seinen Schultern trug, weder ins Schwitzen noch auch nur im geringsten außer Atem gekommen zu sein, als er schließlich von der Straße auf die kiesbestreuten Wege einbog und mit der Geschwindigkeit eines jagenden Falken über die weitläufigen Rasenflächen und durch die kleinen Eichen- und Tannenwäldchen ihrem Ziel entgegeneilte. Der Zugang zum Hain war nun nicht mehr weit entfernt – lediglich wenige Dutzend Meter, dann nur noch ein paar Schritte. Da blieb Ionosen plötzlich stehen, als habe sich ihm ein unsichtbares Messer in den Rücken gebohrt, und wandte sich langsam um. Ein Beben lief über seine Gestalt, und ein erstickter Laut, der fast ein Schluchzen hätte sein können, entrang sich seiner Kehle.
    „Ogaire“, flüsterte er.
    Andion erstarrte in Ionosens Griff. Verzweifelt bog er seinen Hals, um etwas sehen zu können – und keuchte voller Entsetzen auf. Ogaire hatte sie eingeholt. Und er war nicht allein.
    Andion spürte, wie heiße Tränen in seine Augen stiegen und feucht über seine Wangen rannen. Er wollte schreien, wollte seine Qual in den gleichgültigen Himmel brüllen, doch kein Laut kam über seine trockenen Lippen. Starr vor Grauen blickte er auf die Körper von Esendion und Alisera, die sein Vater bei sich trug. Ogaire hatte sie in ihre Schwanengestalt zurückgezwungen und sie wie zwei alte Lumpen an ihren Hälsen hinter sich hergeschleift. Er verzog seine Lippen zu einem dünnen Lächeln, dann warf er die beiden mit einer beinahe gelangweilten Geste vor Ionosen in den Staub. Mit blutgetränkten Federn, zerschmetterten Flügeln und gebrochenen Augen blieben die einst so wundervollen Geschöpfe auf dem schmutzigen Waldboden liegen.
    Andion spürte das Zittern in Ionosens verkrampften Muskeln, spürte seine Trauer und seinen Zorn – und noch etwas anderes.
    „Nicht!“, krächzte er, und plötzlich war er es, der sich an Ionosens Arm festklammerte.
    Ionosen löste behutsam seine Finger aus seiner Kleidung, und ein wehmütiges Lächeln glitt über sein Gesicht. „Es tut mir leid, Andion“, flüsterte er. „Ich hoffe, du wirst mir eines Tages vergeben können.“
    Beim letzten Wort schleuderte er Andion von sich, warf ihn über die Grenze zwischen den Welten direkt in den Hain. Der Park, Ogaire und Ionosen rückten jäh von ihm fort, und für eine Sekunde wirbelte er orientierungslos durch den Nebel, dann erhoben sich von einem Lidschlag zum anderen die mächtigen Eichen und Tannen des Elfenhains rings um ihn. Die Gewalt, mit der Ionosen ihn von sich gestoßen hatte, ließ ihn stolpern, er überschlug sich einmal und prallte hart zu Boden, war jedoch keinen Atemzug später bereits wieder auf den Beinen.
    „Nein!“
    Blindlings stürmte er auf die Grenze des Hains zu und wollte sich sofort erneut hindurchwerfen, wollte zurück in die Menschenwelt, wo Ionosen seinen einsamen und sinnlosen Kampf gegen Ogaire focht, doch er kam keine zwei Schritte weit. Die Luft vor ihm schien plötzlich Funken zu sprühen, dann erhielt er einen brutalen Schlag, der ihn mehrere Meter weit zurückschleuderte. Schmerz loderte wie Feuer durch seinen Körper, und der Aufprall auf dem Waldboden schien ihm sämtliche Luft aus den Lungen zu pressen, dennoch kämpfte er sich sofort wieder auf die Füße und taumelte erneut auf die unsichtbare Barriere zu – eine Barriere, geschaffen von Ionosen, damit er den Hain nicht mehr verlassen konnte.
    „Nein! Verdammt, Ionosen! Das darfst du nicht tun!“
    Schluchzend hämmerte er mit seinen Fäusten auf die Mauer ein, versuchte mit aller Macht, Ionosens Zauber zu durchbrechen – und fürchtete nichts so sehr wie den Moment, in dem ihm das gelingen würde.

    Ruhelos wie ein Tier auf der Flucht streifte Neanden durch den Hain. Seit Ogaires schauriger Spross vor wenigen Wochen in seine Welt zurückgekehrt war, tat er kaum noch etwas anderes, und doch hatte er sich niemals weniger als in diesen Tagen in der Lage gefühlt, seine Pflichten

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