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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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heißen Wellen von ihm ausstrahlten, gemischt mit dem armseligen Bemühen, mithilfe seiner primitiven magischen Fähigkeiten einen Zauber zu brechen – einen Zauber, der offenbar von einem anderen Elfen gegen ihn ausgesprochen worden war. Verwirrt erweiterte Neanden seine Sinne – und sog scharf Luft ein. Der Zugang zum Hain war tatsächlich mit einem Zauber verschlossen, einem, der unverkennbar Ionosens Aura in sich trug. Er musste den Jungen in den Hain geschickt haben, und offenbar wollte er nicht, dass er ihn wieder verließ.
    Neanden spürte, wie eiskalte Furcht sein Herz ergriff. Er lief noch schneller, erreichte Ogaires Sohn, packte ihn hart an der Schulter und riss ihn zu sich herum. Sofort sah er das Blut. Wie eine schaurige Kriegsbemalung bedeckte es Gesicht und Hals des Jungen, klebte feucht an seiner Kleidung, seinen Händen. Sogar in seinen Haaren, die ihm wirr in die Stirn hingen, schimmerten Blutstropfen, und sein Gesicht wirkte ausgezehrt und war so bleich, als habe er monatelang in einem Sarg gelegen und sich erst vor wenigen Minuten aus der Leichenhalle des Friedhofs zurück auf die Lichtung geschleppt. Dennoch schien er nicht ernsthaft verletzt zu sein, und so packte Neanden nur noch härter zu.
    „Was ist passiert? Wo ist mein Vater? Wozu der Zauber?“
    Andion starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. „Ogaire ist dort draußen,“ keuchte er, und seine Stimme zitterte so sehr, dass Neanden ihn kaum verstand. „Mit deinem Vater!“
    Neanden hatte das Gefühl, als würde flüssiges Eis in seine Adern gegossen, Eis, das in Sekundenschnelle zu scharfkantigen Kristallen erstarrte. Er war wie gelähmt, konnte nichts sagen, nichts tun, ja nicht einmal denken.
    Jetzt war es Andion, der ihn schüttelte. „Bitte, Neanden, du musst mir helfen! Ich schaffe es nicht allein. Ich muss zurück. Ich kann nicht zulassen, dass auch noch Ionosen von Ogaire ge...“
    „Sag das nicht!“, schrie Neanden auf und stieß ihn von sich.
    Andion taumelte zurück, aber noch während er um sein Gleichgewicht rang, spürte Neanden, wie sich seine Aufmerksamkeit bereits wieder von ihm abwandte, wie er verzweifelt versuchte, die stürmischen Wogen seines Geistes zu glätten und seinen Willen erneut gegen die magische Barriere zu schleudern, die unsichtbar vor ihm in die Höhe ragte. Einen langen, panikerfüllten Moment noch vermochte Neanden sich nicht zu rühren, war gefangen im dröhnenden Wummern seines Herzens und dem wirbelnden Mahlstrom seiner Gefühle, dann ballte er seine Hände zu Fäusten, presste die Lippen zusammen und tat es Andion gleich. Doch selbst gemeinsam gelang es ihnen nicht, eine Bresche in die Mauer zu schlagen, eine Öffnung, wie winzig auch immer, die es ihnen ermöglichen würde, hindurchzuschlüpfen und seinem Vater zu Hilfe zu eilen. Die Welt schwankte um ihn, und bunte Flecke begannen vor seinen Augen zu tanzen, als er seinen Willen in die Barriere hineintrieb, sich mit Klauen und Zähnen aus konzentrierter magischer Energie dagegenwarf, seinen Geist zu einer Waffe formte, gewaltiger und Furcht einflößender als jeder Zauber, den er jemals zuvor in seinem Leben gewirkt hatte. Aber alle Anstrengung, alles Wüten und Toben und zornige Aufbegehren, war vergebens.
    „Verdammt, verdammt, verdammt !“ Tränen brannten heiß in seinen Augen, liefen feucht seine Wangen hinab, doch Neanden bemerkte sie kaum. So wichtig war es seinem Vater also, diesen Jungen zu schützen? So wichtig, dass er all seine Kraft darauf verwandte, ihn von Ogaire fernzuhalten? Wie aber sollte er unter diesen Umständen gegen Ogaire bestehen?
    „Lass los, Vater!“, brüllte Neanden. Die schrille, panikerfüllte Stimme schien einem Fremden zu gehören. „Bei allen Bäumen, lass mich zu dir kommen !“
    Verbissen kämpfte er weiter. Er hörte Andion neben sich keuchen, spürte die dunkle Wolke aus Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit, die von Sekunde zu Sekunde stärker um ihn wurde, doch auch er gab nicht auf, trieb seinen Körper und seinen Geist weit über die Grenzen dessen hinaus, was er mit seinem geringen Alter und seiner mangelnden Erfahrung überhaupt zu leisten vermochte. Die Zeit schien stillzustehen, war erstarrt in diesem einen, qualvollen Moment des Grauens und der Verzweiflung, der Hilflosigkeit und Furcht. Dann – von einem Augenblick zum anderen – war es vorüber. Ionosens Barriere erzitterte, flackerte wie ein verlöschender Stern noch einmal kurz auf - und fiel lautlos in sich zusammen.
    Neanden

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