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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gavénis
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als Wächter zur Zufriedenheit der Ältesten zu erfüllen und von der Schande, die sein Vater über ihre Familie gebracht hatte, nicht vollends zu Boden gedrückt zu werden. Seine Muskeln waren verkrampft und steif, so oft er sie auch zu lockern versuchte, und seine Gedanken jagten so ziellos und unstet durch seinen Geist wie Blätter, die von einem Herbststurm in tausend verschiedene Richtungen geweht wurden.
    Wie, bei allen Bäumen, hatte es nur so weit kommen können? Wie konnte es sein, dass der Abkömmling einer widerwärtigen Kreatur wie Ogaire in ihrem Hain ein- und ausgehen konnte, wie es ihm gefiel, dass er schamlos aus der Quelle des Lebens trank, um sein eigenes unwürdiges Dasein noch um ein paar weitere jämmerliche Wochen oder Monate in die Länge ziehen zu können, während überall rings umher Elfen, Bäume und Wesen des Kleinen Volkes qualvoll dahinsiechten und starben? Und wie konnte ihn sein Vater bei einer derartigen Blasphemie auch noch unterstützen? Ionosen ...
    Mit einem Ruck blieb Neanden stehen, und seine Kiefer mahlten knirschend aufeinander. Was mochte er jetzt wohl gerade tun? Saß er mit Ogaires Sohn gemütlich bei Kaffee und Kuchen und wartete darauf, dass der Ruf erneut erklang? Oder schlenderte er mit ihm und seiner Mutter in inniger Vertrautheit durch die Wälder, lachten und scherzten sie miteinander auf der Suche nach einem idyllischen Fleckchen, wo sie sich im warmen Gras die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen oder über einem Lagerfeuer Kastanien rösten konnten?
    Neanden ballte seine Hände zu Fäusten, grub sich seine Fingernägel ins Fleisch, bis seine Handballen schmerzhaft zu pochen begannen. Warum hatte der Bastard nur herkommen müssen? Und warum nur fiel es ihm so schwer, ihn aus seinen Gedanken zu verbannen, obwohl er nichts mehr herbeigesehnt hatte als den Moment, in dem der Mistkerl endlich wieder unter dem Stein verschwand, unter dem er so unerwartet hervorgekrochen war, und den Hain und seine Bewohner nicht länger mit seiner Anwesenheit verhöhnte?
    Immer öfter ertappte er sich dabei, wie er auf seinen ruhelosen Wanderungen innehielt, wie sich seine Konzentration nach innen kehrte und er mit allen Sinnen auf das zarte Wispern lauschte, das anzeigte, dass Ogaires abscheuliches Gezücht abermals die Grenze überschritten hatte und in die Elfenwelt zurückgekehrt war. Doch wahrscheinlich hatte es gar nicht anders sein können, schließlich musste er bereit sein, wenn die Kreatur das nächste Mal erschien. Nur eine Schlange, die im Verborgenen lauerte, vermochte ihrem Opfer ihre Giftzähne in den Nacken zu schlagen. Auf eine Astgabel gespießt und ins helle Licht des Tages gezerrt, gab es nichts mehr, wovor man sich fürchten musste.
    Neanden schloss die Augen und atmete tief durch, dann presste er die Lippen zusammen und stapfte grimmig weiter voran. Sein düsterer Groll verstärkte sich noch mehr, als er die huschenden Bewegungen zwischen den Bäumen und im Unterholz bemerkte und die nervöse Unruhe spürte, die wie das aufgeregte Pochen tausender winziger Herzen in der stillen Morgenluft vibrierte. Abermals ballte er die Hände zu Fäusten, und seine Miene verfinsterte sich. Dies war die zweite Wunde, die seit dem spektakulären Auftritt von Ogaires Sohn in seiner Seele brannte, ein weiterer Riss im geordneten Gefüge der Realität, der jegliche Gewissheit und jegliches Vertrauen in den natürlichen Ablauf des Universums ins Wanken brachte und alles, was einst gut und wahrhaftig gewesen war, unwiderruflich in Trümmer geschlagen hatte. Denn so lächerlich und unverständlich es auch schien, so verging doch kaum eine Minute des Tages, in der er nicht eine Sylphe, eine Blütenfee oder ein anderes Wesen des Kleinen Volkes suchend umherstreifen sah, und an welchen Ort des Waldes ihn seine einsamen Patrouillen auch führten, überall begleitete ihn ein steter Chor wispernder Stimmen, die sehnsuchtsvoll einen Namen riefen.
    Andion!
    Wie konnten sie es wagen, sich derart dreist über den ausdrücklichen Befehl des Rates hinwegzusetzen? Reichte es nicht, dass sein eigener Vater alle Werte und Traditionen seines Volkes mit Füßen trat? Mussten ihm die Sylphen, Dryaden und Blütenfeen bei seinen erbärmlichen Taten auch noch Beifall spenden?
    Neanden versuchte, seine Ohren zu verschließen, das unablässige Flüstern und Wispern aus seinem Geist zu verbannen, doch es gelang ihm nicht. Zu sehr schmerzten die Gefühle, die zusammen mit dem Namen der verhassten Kreatur in seine

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