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Waechter des Labyrinths

Waechter des Labyrinths

Titel: Waechter des Labyrinths Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Adams
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war.
    Ihr fiel auf, dass etwas an der hohen Lehne des Thrones hing. Eine Robe aus Schaffell, nur dass sie aus dem feinsten Faden gewebt war, den man sich vorstellen konnte, ein Faden, der unter der Staubschicht funkelte, wie es nur bei Metall der Fall war. Sie hielt die Luft an, als sie es berührte. «Mein Gott», murmelte Knox benommen. «Ist das …»
    «Das Goldene Vlies», flüsterte Gaille. «Er hat es also tatsächlich gefunden.»
    Schritte hallten durch die riesige Kammer. Michail kam näher. Ein schmaler Weg führte vom Podium durch einen Säulengang zu einer zweiten, größeren Plattform. Gailles Augen hatten sich ein wenig an das schummrige Licht gewöhnt, und sie konnte erkennen, dass diese neue Plattform wie eine Rosette geformt war, in deren Mitte beinahe obszön der größte Stalagmit aufragte, den sie jemals gesehen hatte. An seinem Fuß befand sich eine Schale für Opfergaben, was die Vermutung nahelegte, dass der Tropfstein einst als eine auf die Erde gekommene Gottheit verehrt wurde. Als sie näher herantraten, glaubte sie auch zu wissen, um welche Gottheit es sich handelte, denn der Stalagmit sah aus wie ein gigantischer, sich auf die Hinterläufe erhebender Stier. Und Gailles Phantasie spielte ihr keinesfalls einen Streich: Aus dem ursprünglichen Tropfstein war auf kunstvolle Weise tatsächlich ein Stier gemeißelt worden. An seinem Kopf hatte man Elefantenstoßzähne als Hörner angebracht, die Schultern waren deutlich ausgeformt, und der Torso war mit einem Rücken aus Kalkstein versehen, um den Eindruck eines Mantels zu erzeugen. Aus dem Stein war ein Minotaur geschaffen worden, der wie ein unsterblicher Wächter im Herzen dieses natürlichen Labyrinths stand. Nur der untere Teil war unbearbeitet, vielleicht aus Respekt vor der Natur, vielleicht aber auch, weil der gesamte Stalagmit leicht geneigt war und man befürchtet hatte, er könnte sonst umkippen und zerbrechen.
    Aber das war noch nicht alles. Auf beiden Seiten des Säulengangs und dahinter war eine Vielzahl von Kunstschätzen versammelt worden. Die meisten waren durch die dicke Schicht aus Staub und Schutt nicht mehr zu erkennen, manche hatten jedoch zufällig oder aufgrund der Topographie dieser riesigen Kammer überdauert. Offensichtlich hatte man die Schätze einmal in Gruppen angeordnet, die durch Wege unterteilt waren, aber viele waren umgekippt oder hatten sich über die Zeit aufgelöst, sodass sie jetzt einen regelrechten Hindernisparcours darstellten. Der gesamte Boden war mit Edel- und Halbedelsteinen übersät. Die rosafarbene Marmorstatue einer Göttin, die Arme segnend erhoben, lag quer über einem Weg. Ein goldener Kronleuchter aus Bienen, die die Sonne umkreisten, lag im Staub. Es gab auch antike Waffen wie Schilde, Schwerter und Äxte, doch sie alle waren zu durchlöchert und verwittert, um sie zu benutzen. Gaille hob eine Elfenbeinfigurine einer jungen Frau mit mandelförmigem Schädel auf, die wie eine Verwandte der Figuren aussah, die sie und Knox vor kurzem im Grab Echnatons entdeckt hatten. Sie schlug sie sich gegen die Hand, aber da sie viel zu leicht war und nicht als Waffe taugte, legte sie sie wieder hin.
    Auf ihrer Flucht vor Michail drangen die beiden immer tiefer in die Schatzkammer vor, bis sie auf die bisher erstaunlichste Entdeckung stießen: eine hoch aufragende Statue eines bärtigen Wagenlenkers, der von sechs geflügelten Pferden in den Himmel gezogen wurde. Und plötzlich verspürte Gaille Trauer um Iain. Trotz allem, was er getan hatte, hätte sie es ihm gegönnt, lang genug zu leben, um diese Statue zu sehen.
    «Was ist?», fragte Knox, der spürte, dass etwas nicht mit ihr stimmte.
    «Atlantis», sagte sie.

VIERUNDVIERZIG

I
    Sein ganzes Leben lang hatte Michail tief im Inneren gewusst, dass er für etwas Großes bestimmt war. Sein ganzes Leben lang hatte er gewusst, dass seine Zeit kommen würde. Das hatten sie nicht verstanden, all die kleinen Leuten, die ständig versuchten, ihn aufzuhalten und ihren spießigen Regeln zu unterwerfen. Doch erst in diesem Moment wurde ihm wirklich bewusst, wie sich seine Größe ausdrücken sollte.
    Das Goldene Vlies. Sein Goldenes Vlies.
    Er berührte es. Es war aus äußerst feinen Goldfäden gemacht, die ein erstaunlich natürliches Gewebe ergaben, das sich unter seinen Fingern kräuselte. Er stellte den Vorschlaghammer auf dem Steinboden ab und nahm das Vlies mit beiden Händen. Eigentlich hatte er gedacht, es würde so schwer sein, dass er all seine Kraft

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