Waechter des Labyrinths
Menschen wie Claire dabei auch um ihre eigene Zukunft sorgten und sich später Vorwürfe machten, so egoistische Gedanken gehabt zu haben, während ihre Nächsten im Sterben lagen. «Alles wird gut, versprochen», flüsterte er ihr ins Ohr.
Als sie sich sofort versteifte, wusste er, dass es ein Fehler gewesen war. Sie machte sich los, wich ein paar Schritte zurück und rieb sich die Augen. «Alles wird gut?», wiederholte sie. «Bist du ein Fachmann für Gehirnverletzungen oder was?»
«Ich wollte nicht …»
«Augustin hat mit ziemlicher Sicherheit einen Schädelbasisbruch erlitten, und seine Schläfen- und Stirnlappen sind stark traumatisiert. Es wird zu Gehirnblutungen kommen, Gehirnödeme werden sich bilden. Weißt du, was das ist?»
«Nein.»
«Sie entstehen, wenn Blut und andere Flüssigkeiten schneller ins Gehirn gepumpt werden, als sie abfließen können. Der gesamte Kopf schwillt an, weil er vollläuft wie ein Waschbecken, bei dem der Abfluss blockiert ist. Dadurch wird zuerst seine weiße Substanz, dann seine graue Substanz angegriffen werden, was eine der häufigste Ursachen für irreparable Gehirnschäden ist. Und ich kann nichts dagegen tun, außer seine Hand zu halten und zu beten. Und dann kommst du und erzählst mir, dass alles gut wird.»
«Es tut mir leid, Claire.»
Sie nickte und rieb sich wieder die Augen. «Ich habe in einem Hospiz gearbeitet», sagte sie. «Ich habe Opfer von Autounfällen und Schießereien gesehen und Menschen mit Gehirntumor. Glaubst du, ich hätte das alles nicht schon mal durchgemacht? Die Ärzte haben Augustin in ein künstliches Koma versetzt. Keiner weiß, ob und wann er wieder aufwachen wird. Und dann? Gehirntraumata führen nicht sofort zum Tod. Wusstest du das? Sie nehmen sich ihre Zeit, während der Körper einfach Stück für Stück zerfällt. Und selbst wenn er durchkommt, wird er für den Rest seines Lebens ein erhöhtes Risiko haben, was Tumore, Depressionen, Impotenz, Epilepsie, Alzheimer, Migräne oder was auch immer angeht. Also erklär mir bitte, wie alles gut werden soll.»
«Es tut mir leid», wiederholte Knox hilflos.
«Und was bringt das? Was bringt es, dass es dir leidtut? Sag mir, was du dagegen unternehmen willst!»
«Alles, was ich kann.»
Sie nickte energisch, als hätte sie genau das erreichen wollen. «Eine der Krankenschwestern hat vorhin zufällig gehört, was die Polizisten gesagt haben. Sie wollen Augustin verlegen. Sie wollen ihn verhaften. Aber in Haft wird er sterben . Das ist natürlich genau das, was sie wollen. Sie wollen, dass er stirbt, weil sie glauben, wenn er nicht mehr da ist, ist auch dieser ganze Vorfall vom Tisch. Wenn du also wirklich helfen willst, dann unternimm was dagegen. Hindere sie daran, ihn aus dem Krankenhaus zu holen.»
«Ich werde mein Bestes tun. Versprochen.»
«Dein Bestes? So wie heute Nachmittag, als dieser Wahnsinnige Augustin fast zu Tode geprügelt hätte?»
«Was meinst du damit?»
«Damit meine ich, dass du wenigstens hättest versuchen können, ihn aufzuhalten. Du hättest es wenigstens versuchen können. Er hätte es getan, wenn es um dich gegangen wäre. Er hätte alles für dich getan. Aber du hast nur dagestanden.»
Stille trat ein. Knox sah sie hilflos an und fühlte sich elend. «Es tut mir leid», sagte er erneut.
Aber sie wandte ihm den Rücken zu und schaute sich auch nicht mehr um, als Knox die Intensivstation verließ.
ACHT
I
Das Kaminfeuer warf ein flackerndes Licht in den großen Saal des Schlosses und färbte die grauen Steinmauern hellrot. Es brannte mit solcher Intensität, dass Sandro Nergadse die Wärme durch Hemd und Jacke auf dem Rücken spüren konnte. Trotzdem wurde ihm in diesem Moment kalt. «Würden Sie das bitte wiederholen?», sagte er knapp.
«Sie verstehen das nicht ganz», sagte General Josep Khundadse. «Wir sprechen hier über eine Situation, in der die normale Befehlsstruktur der Armee nicht mehr funktionieren wird.» Er deutete auf die beiden Medienmogule, die am anderen Ende des Eichentisches saßen und gerade ihre Pläne dargestellt hatten. «Selbst wenn die beiden mit ihrem Vorwurf der Wahlmanipulation durchkommen.»
«Das werden wir», sagte der Zeitungsmagnat Merab. «Jedenfalls wenn wir die Umfrageergebnisse bekommen, die man uns versprochen hat.»
«Was soll das heißen?», wollte Lewan Kitesowi, Leiter des größten, unabhängigen Wahlforschungsinstituts Georgiens, wütend wissen. «Genügt Ihnen mein Wort jetzt nicht mehr?»
«Meine Herren,
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