Waechter des Labyrinths
sich die Menschen gerne selbst loben, hat er vermutet, dass man die Geschichte so umgeschrieben hat, dass edle griechische Helden diese kostbaren Geheimnisse feigen orientalischen Schurken abgerungen haben, um sie dann zurück nach Griechenland zu bringen.»
«Jason und die Argonauten», murmelte Knox.
«Exakt», meinte Franklin lächelnd. «Und die Ernte, die sie mitgebracht haben, die nannte er ‹das Goldene Vlies›.»
III
Nadja Petrowa wickelte sich ihren Schal um den Hals und setzte eine dunkle Brille auf, ehe sie in die Ankunftshalle des Athener Flughafens trat. Sokratis, der Privatdetektiv, den sie am Abend zuvor über das Internet kontaktiert hatte, wartete wie vereinbart auf sie. Er war ein kleiner und unsympathischer Mann mit blasser Haut, der die unschöne Angewohnheit hatte, sich Popel aus der Nase zu ziehen, während er so tat, als würde er sich nur kratzen. Außerdem machte er keine Anstalten, ihr die Taschen abzunehmen, sondern drehte sich einfach um und lotste sie hinaus zu seinem rostigen grünen Volvo, dessen Frontstoßstange mit silbernem Klebeband geflickt war und dessen Reifen so wenig Profil hatten wie die eines Rennwagens.
«Schon etwas erreicht?», fragte sie, als sie sich anschnallte.
Sokratis nickte lebhaft. «Es waren vier Typen, genau wie Sie gesagt haben. Sie stiegen in zwei dicke Mercedes-Geländewagen mit getönten Scheiben. Drei in den ersten, einer in den zweiten. Ich folgte dem zweiten, von dem konnte ich nicht so leicht bemerkt werden. Er fuhr in die Berge nördlich von Athen. Eine sehr teure Gegend dort oben, sehr vornehm. Wenn man kein reicher Reeder oder russischer Oligarch ist, kann man es vergessen. Und das Haus …» Er machte eine Handbewegung, als hätte er sich verbrüht. «Ich konnte ihm nicht in die Auffahrt folgen, dann hätte er mich mit Sicherheit gesehen. Also bin ich ein Stückchen weitergefahren und habe ihm ein paar Minuten gegeben, um reinzugehen, dann bin ich zu Fuß los. Vor dem Haus stand schon ein anderer Wagen, ein goldener Ferrari. Aber ich dachte, Sie sind an dem Mercedes interessiert. Und raten Sie mal, was passiert ist, als ich gerade meinen Sender daran anbringen wollte?»
«Was?»
«Plötzlich tauchte der verdammte zweite Mercedes auf!» Er lachte, als wollte er ihr zeigen, wie cool er in Krisensituationen reagierte. «Ich musste verdammt schnell abhauen, das kann ich Ihnen sagen.»
«Aber den Sender haben Sie angebracht?»
«Logisch.» Er klopfte stolz auf das Navigationsgerät, das unbeholfen am Armaturenbrett angebracht war. «Bisher ist noch alles ruhig, aber sobald sie sich rühren, wissen wir es.»
«Gute Arbeit», sagte sie.
«Ich habe nur meinen Job gemacht», meinte er. «Wo wir schon mal dabei sind …»
Sie nickte, zog einen weißen Umschlag aus ihrer Tasche und reichte ihn Sokratis, der ihn sofort öffnete. Er zählte das Geld zweimal nach und steckte es dann in seine Brieftasche. «Worum geht es eigentlich?», fragte er. «Ist der Ehemann unartig gewesen?»
«So ähnlich.»
«Immer das Gleiche», gluckste er. «Andere Aufträge als Scheidungen kriege ich heutzutage nicht mehr.»
«Haben Sie ein Problem damit?»
«Nicht, solange ich bezahlt werde.»
«Schön», sagte sie. «Dann verstehen wir uns ja.»
SIEBZEHN
I
Der Morgen zog sich in die Länge, Michail war noch immer nicht aus seinem Zimmer gekommen. «Sollen wir klopfen?», fragte Zaal.
«Er war gestern Nacht nochmal mit dem Ferrari unterwegs», brummte Boris. «Ich glaube, er hat jemanden mitgebracht.»
«Heißt das ja oder nein?»
«Wenn du klopfen willst, dann lass dich nicht davon abhalten.»
«Vielleicht warten wir noch zehn Minuten.»
So lange dauerte es nicht. Plötzlich ging die Tür auf, und Michail kam heraus. Mit Sonnenbrille, Jeans, einem weißen T-Shirt und seinem Ledermantel sah er aus wie ein Möchtegernfilmstar. Eine verwahrlost wirkende junge Frau in einem Paillettenkleid und mit hochhackigen Schuhen folgte ihm so dicht die Treppe hinunter, als würde sie ihn als Deckung benutzen. Mit ihrem kurzen braunen Haar und der schlanken Figur hatte sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Gaille Bonnard, und Edouard fragte sich, ob diese kurze Begegnung gestern Abend im Fahrstuhl ein Verlangen in Michail geweckt hatte, für das er eine möglichst konkrete Befriedigung gesucht hatte. «Knox wird bald seinen Vortrag halten», sagte er schroff, als wäre er derjenige gewesen, der hatte warten müssen. «Wir brechen in fünf Minuten auf. Macht euch
Weitere Kostenlose Bücher