Waechter des Labyrinths
keine Sorgen», versicherte Iain ihr. Er trat auf den obersten Draht und half ihr dann hinüber. «Vertrau mir. Ich wandere hier ständig in den Bergen. Solange man sich benimmt, wird sich jeder, den man trifft, über die Gesellschaft freuen. Außerdem müsste dies mittlerweile Petitiers Land sein, und der wird sich wohl kaum beschweren, oder?»
Der Pass war tückisch, überall lagen lose, herabgestürzte Steine, und Gaille musste die ganze Zeit auf den Boden schauen, um nicht zu stolpern. In dem dichten Nebel verlor sie Iain aus den Augen, sie vermutete aber, dass er vor ihr war. Nach ein paar Minuten hörte sie Iain besorgt rufen. «Gaille! Wo bist du?»
«Hier», antwortete sie. «Warum?»
«Sei vorsichtig. Ich glaube, wir sind ziemlich nah an der Kante.»
«An der Kante von was?» Eine Windböe beantwortete ihr die Frage, denn als die Wolken für einen kurzen Moment dünner wurden, sah sie, dass sich der Weg nur wenige Schritte vor ihr zu einem schwindelerregenden Abgrund senkte. Sie blieb sofort stehen und wich einen Schritt zurück. «Verdammt!», rief sie. «Du musst verrückt sein.»
Er tauchte aus dem Nebel auf. «Man bekommt ein Gespür dafür, wenn man oft genug in den Bergen ist.» Er führte sie nach links, weg von der Mitte des Passes. Sofort ließ der Wind nach, die Wolken lösten sich auf und machten der Sonne Platz. Außerdem hatte Gaille nun klare Sicht auf das, was sie vorher nur kurz gesehen hatte. Sie befanden sich auf dem Rand der Caldera, die wie ein natürliches Amphitheater aus Fels wirkte und einen Durchmesser von gut zwei oder sogar drei Kilometern hatte. Der fruchtbare Grund tief unten war in Felder und Haine aufgeteilt, ganz im Norden leuchtete ein großes gelbes Meer aus Ginster. Ungefähr in der Mitte dieses Plateaus stand ein Bauernhaus. Es war zu weit entfernt, als dass sie außer einem schwarzen Wassertank und glitzernden Solarzellen auf dem Dach Einzelheiten erkennen konnten. Hinter dem Haus erstreckten sich zwei dieser hässlichen Gewächshäuser aus Plastikplanen. «Und jetzt?», fragte sie. Die steilen, wie Festungsmauern wirkenden Wände des Kraters machten ihr Angst.
«Irgendwo muss es einen Weg geben. Wenn Petitier mit einem Maultier hier runtergekommen ist, dann werden wir es auch schaffen.»
«Ich weiß nicht», erwiderte sie.
«Vertrau mir», sagte er. «Wir schaffen das.»
Vertrau mir , dachte sie leicht verärgert. Das schien seine Antwort auf alles zu sein.
III
Knox lag noch immer auf dem Asphalt und hielt die Mülltonne fest. Seine Arme zitterten vor Anstrengung, und seine Nase juckte von dem Gestank. Die Katze, die er einen Moment zuvor aufgeschreckt hatte, tauchte wieder auf und starrte ihn miauend vom Dach des Wohnwagens neben ihm an.
Auf der Straße hörte er eine laute Stimme. Offensichtlich wurde jemand zur Schnecke gemacht. Einen Augenblick später kam einer der Georgier, bückte sich, griff dann unter den Mercedes und riss den Sender los, der mit schwarzem Klebeband befestigt war. Wenn er nur kurz in die andere Richtung geschaut hätte, hätte er Knox sofort entdeckt. Die Diskussion ging weiter, Entscheidungen wurden getroffen. Schließlich stiegen alle wieder in ihre Wagen, wendeten und rasten davon.
Knox gab ihnen gut dreißig Sekunden, dann stand er auf, wischte sich den Dreck ab und sah nach. Sie waren nicht mehr in Sichtweite. Er spähte um die Ecke. Die Gasse war leer. Er zog die Mülltonne zur Seite, um Sokratis herauszulassen, schob sie zurück auf den freien Parkplatz und stieg in den Volvo. Sokratis fuhr vorsichtig los. Sein hellblaues Hemd war jetzt schweißnass, er roch beinahe so schlimm wie die Mülltonne. «Hatten Sie nicht gesagt, dieser Typ wäre Ihr Ehemann?», blaffte er Nadja an.
«Dachten Sie das?», fragte Nadja unschuldig.
«Ich mache solche Gangsterscheiße nicht. Ich mache Scheidungen. Mehr nicht.»
«Dann ist das ja eine ausgezeichnete Gelegenheit, Ihr Angebot zu erweitern.»
«Finden Sie das witzig?», schrie er. «Sie haben mich angelogen.»
«Ich habe nicht gelogen. Sie haben Vermutungen angestellt, das ist alles.»
«Ich arbeite nicht für Klienten, die mich anlügen. Raus aus meinem Wagen. Sofort.»
«Seien Sie nicht so ein Arschloch», erwiderte sie. «Sie haben mein Gepäck im Wagen. Fahren Sie mich zu meinem Hotel, dann können Sie machen, was Sie wollen, wenn Ihnen für einen solchen Auftrag der Mut fehlt.»
«Sein Gepäck habe ich aber nicht», sagte Sokratis und deutete auf Knox.
«Fahren Sie einfach zu.
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