Waechter des Labyrinths
sagte er zu dem Boten.
«Wie wäre es mit Trinkgeld?»
«Ich sagte, du kannst jetzt gehen.» Michail wartete, bis der Junge außer Sichtweite war, ehe er das Handy anschaltete. Nachdem es ein Signal gefunden hatte, wies es piepend auf eine SMS hin. Es war eine Telefonnummer. Er wählte sie. «Sie kennen mich nicht», sagte der Mann, der sich augenblicklich meldete. «Ich war vorhin in dem Volvo.»
Die Angst in seiner Stimme befriedigte Michail. «Sie sind mir gefolgt», sagte er.
«Es war die Frau. Ich wusste nicht, was sie vorhatte, ich schwöre, dass ich es nicht wusste. Sie sagte, Sie wären ihr Ehemann.»
«Wer ist sie?»
«Sie hat sich nur als Nadja vorgestellt. Sie hat mich gestern über meine Website gefunden. Sie wollte, dass ich Sie nach Ihrer Ankunft auf dem Flughafen verfolge, und das habe ich getan. Das ist meine Arbeit. Scheidungssachen, meine ich. Nicht so ein Mist. Dann habe ich sie heute Morgen vom Flughafen abgeholt. Das ist alles.»
«Beschreiben Sie sie.»
«Kann ich nicht. Ich schwöre, ich kann es nicht. Sie trug die ganze Zeit einen Schal und eine Sonnenbrille. Sie ist vielleicht vierzig, klein, dünn und blass, aber mehr weiß ich wirklich nicht. Und sie humpelt leicht.»
«Auf welcher Seite?»
Ein kurzes Schweigen. «Auf der rechten, glaube ich. Aber Sie wissen ja, wie das ist, wenn jemand humpelt. Das sieht auf beiden Seiten komisch aus. Aber dafür weiß ich, in welchem Hotel sie wohnt.»
«Und?»
«Sie werden mich nicht suchen, ja?», bat der Mann. «Sie müssen mir versprechen, dass Sie mich nicht suchen.»
«Wir werden Sie nicht suchen», sagte Michail. «Wenn Ihre Informationen etwas taugen.»
«Sie wohnt im Acropolis View . Das ist in Plaka.» Dann fügte er rachsüchtig an: «Dieses dämliche Miststück dachte, sie könnte mich verarschen.»
«Was ist mit dem Mann, den Sie mitgenommen haben?»
«Ich habe ihn vor der Metrostation Sepolia rausgelassen. Ich glaube, sie haben verabredet, sich wieder zu treffen, aber ich kann es nicht beschwören, sie sprachen französisch miteinander.»
«Danke», sagte Michail. «Und jetzt halten Sie den Mund und verschwinden aus der Stadt.»
«Bin schon unterwegs.»
«Sollte ich Sie jemals wieder sehen oder etwas von Ihnen hören …»
«Werden Sie nicht. Ich schwöre, das werden Sie nicht.»
Michail beendete das Gespräch und blieb dann grübelnd vor der Tür stehen. Auf diese Frau war er schon um ihrer selbst willen neugierig, außerdem bot sie die beste Möglichkeit, an Knox heranzukommen. Allerdings hatte sie vorhin den schwarzen Mercedes gesehen, und der Ferrari war nicht gerade das diskreteste Fahrzeug. Er ging wieder hinein und winkte Zaal zu sich. «Beschaff mir einen Lieferwagen», befahl er. «Nichts Auffälliges, er muss nur eine geräumige und abgeschlossene Ladefläche haben.»
«Ja, Chef», sagte Zaal.
Eine Frau namens Nadja, die leicht humpelte und die extra aus Georgien hergeflogen war, um ihn ausfindig zu machen. Für einen Moment verspürte er eine gewisse Unruhe, aber auf recht angenehme Weise. Es wurde wieder interessant.
III
Antonius hing an einer kurzen Schlinge, die ans Geländer im ersten Stock gebunden war. Seine Füße baumelten so knapp über der untersten Stufe, als könnte er sie berühren, wenn er seine Zehen ausstrecken würde. Knox hatte schon andere Leichen gesehen, aber noch nie war der Anblick derart schrecklich gewesen. Antonius war ein alter, dünner Mann gewesen. Die Leichenstarre hatte seine Gliedmaßen grotesk verrenkt, sodass sich die Ärmel seiner blauen Jacke hochgeschoben hatten. Der Schritt seiner grauen Hose war durch eine nach dem Tode einsetzende Erektion gewölbt, und seine Füße waren so furchtbar geschwollen, dass die Schnürsenkel seiner abgewetzten schwarzen Schuhe an einem Fuß tatsächlich gerissen waren, während der andere einem aufgeblähten Rollbraten glich. Auf der zweiten Stufe lag ein zusammengefalteter Zettel. Knox hob die obere Seite vorsichtig ein Stückchen an, damit er den Text lesen konnte. Es war ein einfacher und schnörkelloser Abschiedsbrief und enthielt genau die Worte, die man in solchen Situationen erwartete. Doch da Petitier erst vor kurzem umgebracht worden war und Michail Nergadse seine Hände im Spiel zu haben schien, wirkten sie nicht sehr überzeugend.
Knox wurde flau im Magen, einerseits aus Mitgefühl für Antonius, andererseits – was weniger lobenswert war – weil er nun selbst in der Klemme steckte. Er konnte den armen Kerl nicht einfach
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