Wächter des Mythos (German Edition)
sich, ein möglichst neutrales Gesicht zu machen.
»Na gut, ich will mich da nicht auch noch einmischen«, gab der Inspektor abschließend zur Antwort. »Es genügt, wenn Rey sich darum kümmert.«
Etwa anderthalb Stunden später, um 22 Uhr, traf Inspektor Rey aus Burgos ein. Erleichtert ging ihm Alina entgegen, als er voll beladenen in die Gaststube trat.
»Und? Haben Sie alles besorgen können, was Maria bei Ihnen bestellt hat?«
»Gewissermaßen«, erwiderte er mit einem Anflug von Stolz und legte die Sachen auf den Tisch. »Habe alles in letzter Minute auftreiben können. Zum Glück haben Sie etwa die gleiche Kleider- und Schuhgröße wie meine Frau und Monsignore Sandino jene von mir. Doch wofür man beim Pilgern Krücken braucht, ist mir wirklich ein großes Rätsel.«
»Maria meint, wir kommen so unauffälliger in die Kathedrale Santiago de Compostela hinein.«
»Und um unauffällig zu sein, braucht man Krücken ?«
»Nein, aber um von einer Pilgergruppe im Akt der Barmherzigkeit aufgenommen zu werden: Hilf einem Pilger in der Not. Sandino und ich werden in der Gruppe unbemerkt in die Kathedrale kommen.«
Der Inspektor kratzte sich nachdenklich am Kopf, bevor er antwortete. »Wenn ich es recht bedenke, ist die Idee nicht schlecht. Doch es gefällt mir nicht, dass ich Sie mit dieser Gruppe weiterziehen lassen soll.«
»Hör zu Rey, du kannst der Gruppe unauffällig folgen und im Notfall eingreifen. Die dafür benötigten Pilgerklamotten hast du ja schon an«, fuhr Maria dazwischen und verließ den Raum.
Rey rümpfte die Nase, er konnte sich nicht entscheiden, ob ihm diese Idee wirklich gefiel. Er hatte sich das Pilgern mit Alina und Sandino etwas anders vorgestellt. »Na gut«, sagte er dann widerwillig, »wir können es so ja mal versuchen.«
Maria hatte inzwischen eine gute Flasche spanischen Rotwein aus ihrem Keller geholt, zur Beruhigung und wegen der Wirren des Tages. Sie war der Meinung, ein Schlummertrunk könne nicht schaden. »Also dann, auf unser Wohl«, sagte Maria glücklich, als alle um den Tisch saßen. »Ach, übrigens, ich möchte gerne mitpilgern, und zwar mit dir, Rey.«
»Na prima … Glückwunsch ! Das wird ja immer aufregender!«, knurrte Rey, alles andere als begeistert. »Noch jemand, um den ich mich kümmern muss.«
» Pah «, sagte Maria abwinkend, »von wegen kümmern. Dann bleibe ich eben hier. Ich habe mit der Reisegruppe morgen eh genug zu tun.«
»Was ist mit dieser verschlüsselten Kelchs-Botschaft?«, fragte Rey jetzt wissbegierig. Alina warf Maria einen fragenden Blick zu.
»Nun«, sagte Maria nach einer kurzen Pause, »weiß jemand, was der Begriff ›Evangelium‹ im Grunde bedeutet?«
»Der Begriff kommt aus dem Griechischen und heißt soviel wie ›frohe Botschaft‹«, antwortete Alina nachdenklich.
» Und , worin besteht deiner Meinung nach diese ›frohe Botschaft‹?«
»Wohl in der Lehre Christi, nur, dass sich diese Lehre nicht sehr deutlich in Worten fassen lässt. Ansatzweise überbringt die Botschaft Frieden und Liebe, doch es ist immer, als fehlt etwas.«
»Natürlich fehlt etwas!«, platzte es jetzt aus Maria heraus. »Der ganze Kern der Botschaft fehlt, das Herzstück . Und zwar deshalb, weil es nicht ins Konzept der damals hierarchischen Weltordnung passte. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren nicht nur die Worte der französischen Revolution, vielmehr handelte es sich um das eigentliche Herzstück dieser Botschaft. Und dabei geht es auch nicht um ein Randthema, das irgendwen betrifft. Nein! Es geht vielmehr um die Frage, ob wir als Freie oder als Sklaven leben, im Leben herrschen oder Opfer des Lebens sind.«
»Ja, ich denke, das war auch die Meinung meines Vaters«, pflichtete ihr Alina bei.
» Genau! «, sagte Maria mit ernster Miene, die zugleich wilde Freude in ihren Augen aufleuchten ließ. »Die Bibel hat auch einiges über Knechtschaft und Sklaverei zu sagen. Sie behandelt das Thema an bestimmten Stellen ausführlich, und zwar, weil es das Grundproblem des Menschen anspricht. Jeder kann die Tragweite oder den Segen der Freiheit erkennen, wir müssen uns nur die Gleichberechtigung, Aufklärung und Wissenschaft vor Augen halten, die unsere heutige Weltordnung prägen.«
Rey hob sein Glas, um auf die heutige Weltordnung anzustoßen, deren Wurzeln schon im humanen, allumfassenden Denken der Templer verankert waren.
»Zum Wohl! Auf Bernhard von Clairvaux, den Vater der Templer.«
»Kennt jemand die abstruse Legende,
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