Wächter des Mythos (German Edition)
herausragendsten Zeitgenossen, der erkannte, dass keine Schöpfung ohne diese Prinzipien möglich sind, weder physischer noch geistiger Art, Bernhard von Clairvaux. Seine im Grunde ausgewogene Denkart schlug sich dann auch in seinen beiden Orden nieder, also bei den eher weiblich ausgerichteten Zisterziensern und den männlich orientierten Templern, die unter seinem Einfluss in Erscheinung getreten sind. Während die Zisterzienser dem weiblichen Prinzip, also der Gottes-Mutter Maria huldigten, kämpften die Templer für das Christentum.«
Nach der zweiten Flasche Wein hatte sich die Versammlung dann soweit beruhigt, dass sich alle selig vor Erschöpfung schlafen legten.
* * *
Als Hacker hatte Sebastiano schon immer gute Erfolge erzielt. Es war kurz vor Mitternacht und soeben hatte er erfahren, dass Kardinal Walter in zwei Tagen in der Kathedrale Santiago de Compostela erwartet wurde. Er musste also schleunigst nach Santiago, um dort den Kardinal gebührend in Empfang nehmen zu können.
Wenn alles gut lief, werden ihm die Nazarenos, die bekannten Büßer mit den typischen Spitzhauben, dabei behilflich sein. Denn ächzend unter der gewichtigen Last des Kreuzes, erkannten auch sie das Böse, dass ja nicht nur ein trüber Schatten im Vatikan war, sondern auch eine finstere Kraft, die alles andere pervertierte. Der Kardinal handelte mit List. Diesem doppelten Spiel die Existenz streitig zu machen, das war jetzt Sebastianos Aufgabe. Denn er erkannte den Kardinal jetzt deutlich als unbekannte Ursache seines bisherigen Unglücks. Er hatte die Elemente des Bösen nun schon zu oft gesehen und konnte seine Zeichen mühelos deuten.
* * *
Nachdem sich Inspektor Rey am anderen Morgen von den erfolgreichen Vorbereitungen für den bevorstehenden Tag überzeugt hatte, ließ er sich von Maria eine bestimmte Strecke mit dem Auto fahren, sodass er die heutige Etappe, die Alina und Sandino mit dem Bus zurücklegen sollten, zu Fuß erreichen konnte. Er hatte sich wirklich aufs Wandern gefreut und wollte sich das jetzt nicht nehmen lassen.
Am frühen Nachmittag trafen die ersten Pilger der angekündigten Reisegruppe in kleinen Grüppchen von zwei bis drei Personen ein. Erschöpft von ihrer Tagesetappe stürmten sie Marias kleine Gaststube, um nach kurzer Erholung den Souvenirladen in Angriff zu nehmen.
Nachdem die spanische Reisegruppe, meistens Frauen und Männer im mittleren Alter, vollständig war, erklärte ihnen der Reiseleiter, dass die Kirche heute wegen des unerwarteten Todes des Dorfpfarrers geschlossen bliebe. Danach stellte er ihnen die beiden neuen Mitglieder ihrer Reisegruppe vor. Er sprach von der alten Pilger-Tradition und von der Pflicht, Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu üben. Vor allem darüber, Pilgern in Not zu helfen.
Alina machte mit ihrem bandagierten Fuß und auf Krücken gestützt wirklich einen bemitleidenswerten Eindruck. Sandino, in salopper Wanderkleidung und den ersten Anzeichen von Bartstoppeln, hätte niemand für einen Priester aus dem Vatikan gehalten.
»Dann bekommen wir also den Santo Grial do Cebreiro , den Heiligen galicischen Kelch nicht zu sehen«, rief einer der Anwesenden mürrisch.
»Und die beiden Kristallfläschchen mit dem erhaltenen Wunderblut? Die auch nicht?«, fragte eine Frau enttäuscht.
»Nein, die auch nicht!«, antwortete der Reiseleiter kurz. »Deshalb würde ich vorschlagen …«
»Warum hat die Polizei denn überhaupt die Kirche abgesperrt?«, rief jemand erbost dazwischen.
»Nun, der Pfarrer ist überraschend in dieser Kirche gestorben. Die Anwesenheit der Polizei ist reine Routine. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir uns jetzt eine halbe Stunde zum Verschnaufen gönnen. Wer Lust hat, dem Souvenirladen gegenüber gibt es ein Museum. Achtet auf eure Uhren, danach machen wir uns wie geplant auf den Weg.«
Alina und Sandino verbrachten die halbe Stunde damit, sich von Maria zu verabschieden und das Gepäck von den beiden Zimmern in den Bus zu laden. Der Reiseleiter half dabei und zeigte ihnen die freien Sitze. Das geräumige Innere des Reisebusses bot den Anblick eines wilden Feriencamps. Über die freien Sitzlehnen verteilt trockneten Tücher und T-Shirts und die Gepäcknetze waren mit Ersatzkleidung vollgestopft. Allmählich füllte sich der Bus, dann fuhren sie los.
Durch den Bus schwirrten die Eindrücke der letzten Stunden, alle hatten sich mehr oder weniger von ihren Anstrengungen erholt. Wasserflaschen wurden durch die Reihen gereicht, während
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