Wächter des Mythos (German Edition)
Gabriel stützte das Kinn auf seine Hände. »Die Angreifer waren wohl Thailänder, doch dein Foto wurde vor der Haustür deines Vaters in Basel aufgenommen. Ich weiß nichts, doch ich denke, wir sollten hier so schnell wie möglich verschwinden.« Er hielt eine Weile inne und fuhr dann fort: »Als Erstes muss ich dringend mit meinem Freund Frank telefonieren, wir brauchen seine Hilfe. Danach werden wir über alles Weitere entscheiden. Bis dahin bitte ich dich, dieses Haus nicht mehr zu verlassen, ruh’ dich solange in der oberen Etage aus.«
»Ja, in Ordnung«, sagte Alina niedergeschlagen.
Er begleitete sie nach oben und schob sie mit sanftem Druck in das große Schlafzimmer. Als er wieder nach unten in den Salon kam, hatte er den Eindruck, dass es dunkler geworden war. Irgendetwas geschah, und das machte ihm Angst.
* * *
Erst am Nachmittag erreichte Sandino Chom-Thong, er hatte seinen ersten Flug am Morgen verpasst. Nun stand er im Sekretariat des Tempels, wo ihn eine Nonne über die Theke hinweg durch ihre goldgefasste Brille musterte.
»Sie sind nicht der Erste, der Alina dringend zu sprechen wünscht. Ich nehme an, dass Sie auch ihretwegen von irgendwoher gekommen sind?«
»Von Rom«, antwortete ihr Sandino knapp. »Wer hat denn sonst noch nach ihr gefragt?«
»Der letzte Besucher kam aus Basel, ein gewisser Gabriel Diaz.«
»Gabriel Diaz?«, fragte Sandino erstaunt.
»Kennen Sie ihn?«
»Nein, nicht persönlich, nur vom Namen her. Allerdings hätte ich ihn hier nicht vermutet. Ist er noch im Tempel?«
»Haben Sie auch die weite Reise hierher gemacht, um ihr zu erzählen, dass ihr Vater ermordet wurde?«
»Ich bin Erzbischof Sandino de Vegio und wurde von Seiner Heiligkeit, dem Papst in Rom, persönlich geschickt, um ihr im Namen der römisch-katholischen Kirche unser allertiefstes Beileid auszusprechen. Aber dieser Gabriel Diaz, ist er noch immer hier bei ihr?«
»Nein, sie sind schon gestern Nachmittag abgefahren.«
»Abgefahren, zusammen?«
»Ja, alle drei, samt ihrem kleinen Cousin Nong Ding.«
»Und wohin wollten sie fahren?«
»Ich denke nach Mae Chaem, denn sie hat dort Land und ein Haus von ihrer verstorbenen Mutter. Außerdem stammt ihr Cousin Nong Ding von dort. Die Ärmste, sie ist ja jetzt ohne Eltern.«
Sandino bekreuzigte sich mechanisch, um ein stilles Gebet vorzugeben.
»Nun, ich bin gekommen, um ihr unser tiefstes Mitleid zum Ausdruck zu bringen und ihr, wenn nötig, hilfreich und tröstend beiseitezustehen. Wo genau liegt denn Mae Chaem?«
»Es liegt etwas mehr als eine Stunde von hier entfernt, hinter dem Doi Inthanon. Wenn Sie schon mal dort sind, es gibt viele Christen in diesem Gebiet. Die würden sich sicher über diesen ehrenwerten Besuch aus Rom freuen.«
»Gott segne sie alle, doch leider ist meine Zeit sehr beschränkt. Nun, ich werde sehen, was ich tun kann.« Sandino verabschiedete sich und machte sich umgehend auf den Weg nach Mae Chaem.
* * *
Gabriels Freund Frank war ein hochrangiger UN-Militär. Er hatte ihn im Zusammenhang mit seinen sporadischen Auslandeinsätzen als Koordinator für Terroristenbekämpfung kennengelernt. Im Laufe der verschiedenen Einsätze war zwischen ihnen ein freundschaftliches Verhältnis entstanden und sie hatten begonnen, auch über persönliche Dinge zu sprechen, unter anderem auch über seinen Bruder und den Kelch. So waren sie Freunde geworden und Frank hatte begonnen, sich intensiv an Gabriels Suche nach dem Verbleib des Kelches zu beteiligen. Für das Telefongespräch holte er nun sein codiertes Satelliten-Mobiltelefon hervor, das sie für ihre dienstliche Zusammenarbeit nutzten. Bei internationalen Verstrickungen zwischen Politik und Militär war das oft dann der Fall, wenn er den Freund in Zusammenhang mit einer ernsten Mission erreichen wollte.
»Hallo, Gabriel«, grüßte ihn die vertraute Stimme, »du steckst bestimmt in Schwierigkeiten, sonst hättest du mich nicht unter dieser Nummer angerufen.«
»Das ist richtig, Frank, doch ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll.«
»Am besten mit dem, was du auf dem Herzen hast«, versuchte Frank seinen nervös klingenden Freund zu besänftigen.
»Also, das Ganze hat mit dem Zeitungsartikel von Dr. Andreas Bernard zu tun, den du mir freundlicherweise zugefaxt hattest.«
Gabriel begann ihm alles zu erzählen, zuletzt vom Überfall auf Alina und von dem Ort, wo sie sich im Augenblick aufhielten. Als er mit seinem Bericht fertig war, herrschte ein kurzes
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