Wächter des Mythos (German Edition)
Häresie, selbst dann, wenn nicht alles daran häretisch ist!«, sagte Sebastiano, ohne seinen Blick von dem schwarz gewordenen Monitor abzuwenden.
»Nun, dann vertrauen wir jetzt auf unseren Herrn, der Rom eine Prüfung auferlegt. Wir werden tun, was der Kardinal von uns verlangt. Wie werden Sie vorgehen, Bruder Sebastiano?«
»Ich werde jetzt erst einmal wie ein in der Pubertät steckengebliebener, pickelgesichtiger Hacker Informationen aus dem Internet sammeln.«
»Sie wissen, dass diese Maschinen ein Werk des Teufels sind? Doch tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
»Eure Eminenz verflucht die Maschinen ja genauso wie Darwins Evolutionstheorie! Warum stellt Ihr uns dann Computer zur Verfügung?«
»Wir wollen die Heilige Schrift auslegen, wie es Jahrhunderte lang üblich war, aber wir wollen auf keinen Fall Rom hinterherhinken.«
* * *
Als Gabriel am folgenden Morgen in die Küche kam, stand ein leckeres Frühstück für ihn bereit. Doch als Alina anschließend mit ihm die wacklige Holztreppe in den Keller des Hauses hinunterstieg, wurde ihm klar, dass das Frühstück nicht die letzte Überraschung dieses Tages gewesen sein sollte. Die Treppe endete in einem kleinen und dunklen Raum. Erst als Alina einen Lichtschalter betätigt hatte, verstand Gabriel, dass sie sich nur in einem winzigen Vorraum befanden.
Seinem Blick eröffnete sich nun ein riesiges Gewölbe, von dem Gabriel bestenfalls geglaubt hätte, es existiere in seinen Träumen. Von der kleinen Diele aus erhob sich vor ihm ein großer Raum, dessen beeindruckendes Deckengewölbe von zahlreichen Säulen getragen wurde. Allein der Gedanke, dass sich an einen so unscheinbaren Vorraum ein solch imposantes Gewölbe anschließen konnte, war schwer zu begreifen. Doch was sich nun seinem Blick preisgab, verschlug ihm fast den Atem: Das Gewölbe war über und über mit einer unüberschaubaren Menge von Büchern angefüllt, Schränke, Regale und Tische, überall lagen unzählige Schriftstücke, aufgeschlagene Ordner, Taschenbücher und kostbare Folianten umher, als sei hier das Wissen der vergangenen zweitausend Jahre vollständig versammelt.
»In der Familie meines Vaters hat es zahlreiche Bibliomane gegeben«, sagte Alina lächelnd. »Außerdem besaß ein Onkel von mir bis zu seinem Tod ein sehr großes Antiquariat. Zuletzt blieben all diese Bücher bei meinem Vater hängen, der alles hierher bringen ließ. Neben den billigen Taschenbüchern sind auch einige sehr wertvolle Bücher darunter, doch ich habe mich bisher leider nicht ernsthaft dafür interessiert.«
»Aber das hier ist ja eine komplette Bibliothek! Und dieser Raum – dass ein so kleines Haus ein dermaßen großes Kellergewölbe beherbergen könnte, hätte ich nicht für möglich gehalten.«
»Na ja, die Ursprünge dieses Hauses reichen bis tief ins Mittelalter zurück. Vor allem das Kellergewölbe ist in all den Jahrhunderten hindurch erhalten geblieben. Auch das Nachbarhaus gehört zum Anwesen, das erklärt vielleicht auch seine Größe. Aber das Haus nebenan ist seit Langem ohne direkten Zugang zum Keller vermietet.«
Sie stiegen nun die wenigen Stufen in das unüberschaubare Chaos der Bücher hinab. Einem kleinen labyrinthischen Weg folgend, an den überladenen Regalen und Bücherstapeln vorbei, steuerte Alina auf einen freien Platz zu, der sich wie eine Oase in der Wüste öffnete. Auf einem schweren Eichentisch stand ein Computer, zu seiner Linken türmten sich stapelweise Bücher. Alina setzte sich auf einen Stuhl und bot Gabriel den zweiten an. Es war kühl hier unten und die Zeit schien auf eine unerklärliche Weise stillzustehen. Große schummrige Lampen hingen an langen Ketten über ihren Köpfen. Um sie herum bogen sich die Regalbretter unter der schweren Last der Bücherstapel und Ordner. An einer freien Fläche an der Wand waren in buntem Durcheinander diverse Zeitungsausschnitte, Fotos und Manuskriptnotizen befestigt, sie erinnerte an die Pinnwand auf einem Polizeirevier.
Andächtig wie in einer Kathedrale saßen sie eine Zeit lang schweigend in der Mitte des Raumes.
»Mein Vater hat immer gesagt: Bücher sind so etwas wie die leibliche Hülle der menschlichen Gedanken. Deshalb war er der Meinung, dass man Bücher stets mit einem gewissen Respekt und mit Ehrfurcht behandeln sollte.«
Gabriel überflog die Titel der Bücher, die sich vor ihm auf dem Schreibtisch auftürmten: »Jesus und der Täufer – der wahre und der falsche Prophet«, »Christentum und
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