Wächter des Mythos (German Edition)
Menschen hat es wohl so interpretiert, nur, dass dafür nicht ein normal Sterblicher herhalten konnte. Doch auch heute noch verspeisen katholische Christen symbolisch den Leib Christi beim Abendmahl und trinken dazu Wein als Ersatz für sein Blut.«
»Durch die Aufklärung und das Voranschreiten der Naturwissenschaften fühlt sich der Mensch von heute ja nicht mehr so sehr dem Zorn Gottes ausgesetzt. Worin liegt denn nun die Lehre von Jesus, oder was unterscheidet ihn vom Täufer?«
»Drohungen, Gotteszorn und Weltuntergang sind Gedankengut von Johannes dem Täufer, der Sohn eines Priesters gewesen sein soll. Jesus predigte ein gegenwärtiges Gottesreich, das in uns und außerhalb von uns zu finden ist, wir müssen es nur als solches erkennen.«
»Du meinst also eine Lehre, in der das Göttliche überall zu finden ist, sowohl in unserem Herzen wie auch in der übrigen Schöpfung?«, fragte Gabriel überrascht. »Damit kann der zeitgenössische Mensch doch was anfangen!«
»Ich glaube, es ging Jesus nicht so sehr um den antiken Schöpfergott. Vielleicht war seine Lehre wirklich so revolutionär, Gott und Götter beiseite zu lassen und den göttlichen Ursprung des Menschen kundzutun. Wir alle sind Töchter und Söhne Gottes.«
»Umwälzend selbst für heutige Menschen, die sich trotz Fortschritt und Aufklärung immer noch an Götter hängen. Was denkst du darüber, welche Empfehlung würde Jesus dem heutigen Menschen geben?«
»Wohl die gleichen, die er schon damals gepredigt hat: ›Erkenne, was vor deinen Augen ist.‹« Ein Lächeln huschte ihr übers Gesicht. »Und damit komme ich darauf zurück, dass der Mensch die Erkenntnis auf zweierlei Weisen erlangen kann. Zum einen, indem er so wie Jesus die Erscheinungen der Welt beobachtet.«
»Wie kam er denn zu seiner Prägung?«, fragte Gabriel, nachdem er eine Weile nachdenklich geschwiegen hatte. »Seine Haltung mag ja die eines Eremiten gewesen sein, doch seine Ausdrucksform weist auch auf eine bestimmte Bildung hin. Aber Jesus wuchs doch in einer armen jüdischen Familie auf, die zudem nicht mal in einer kultivierten Gegend lebte.«
»Eine sehr gute Frage, denn Jesus war nur der Stiefsohn eines armen Bauhandwerkers mit vielen Kindern. Er lernte wohl das Handwerk seines Stiefvaters und war wie er im Haus- und Schiffsbau tätig. Archäologische Funde belegen, dass die ganze Gegend um das heutige Nazaret im ersten Jahrhundert sehr spärlich besiedelt war. Jesus muss mit seinem Stiefvater außerhalb von Nazaret gearbeitete haben, da diese bescheidene Ansiedlung der mehrköpfigen Familie nicht genug Arbeit für den Lebensunterhalt bieten konnte. Dafür kommt die Umgebung des Sees Genezareth infrage. Denn Orte wie Kapernaum, Magdala, Korazim und Betsaida befanden sich am See. Die hellenistisch geprägten und kultivierten Orte hat Josef wohl gemieden, weil diese für fromme Juden als unrein galten. Von Bildung also weit und breit keine Spur. Jedoch hatte Jesus so Gelegenheit, Maria von Magdala kennenzulernen, unsere heutige Magdalena. Und diese Begegnung scheint eine Schwangerschaft zur Folge gehabt zu haben.«
»Aber aus der Sicht der Kirche würde ja schon die Vorstellung, dass Jesus Geschwister hatte, die Heiligkeit von Jesus unterminieren. Doch sicherlich war Jesus ein Mensch mit einer Familie – wenn auch im Hintergrund – und hatte die Möglichkeit zur Vaterschaft.«
»Vonseiten der Kirche ist an die Möglichkeit einer Vaterschaft Jesu gar nicht zu denken. Doch heutzutage nimmt man immerhin schon einmal an, dass Jesus mehrere Geschwister, also Brüder und Schwestern hatte. Als ältester Sohn seiner Mutter musste er zusammen mit dem Stiefvater wohl auch für den Unterhalt der Familie mitsorgen.«
Alina gab das Gemüse zu dem Fleisch, würzte das Ganze mit Thymian, Salz und Pfeffer und ließ das Gericht auf kleiner Flamme schmoren.
»›Ehre Vater und Mutter‹«, fuhr sie jetzt unerwartet fort, während sie die Gewürze in das Küchenregal zurückstellte. »Das vierte der Zehn Gebote verlangt die Fürsorge der Erben für ihre Sippe. Nun, was denkst du, wenn als weitere Belastung eine Vaterschaft hinzukommt? Hätte sich Jesus vor dieser neuen Verantwortung gedrückt?«
»Wie alt wird Jesus zu diesem Zeitpunkt gewesen sein?«
»So um die achtzehn, neunzehn Jahre.«
»Also, bei einer solchen Verantwortung hätte Jesus von morgens bis abends schuften müssen. Da blieb ihm doch keine Zeit für Bildung.«
»Nun, in einer altkirchlichen Schrift von
Weitere Kostenlose Bücher