Wächter des Mythos (German Edition)
höchsten Werth, die zum Dienst des Grales wird bekehrt. (Wolfram von Eschenbach)
Die Arthur- und Gralssagen waren ursprünglich weit mehr als nur fromme Legenden. Es ist anzunehmen, dass unter dem Einfluss des keltischen Arthur- und Gralsritter-Kults ein Ideal entstand, dem die ersten neun Tempel-Ritter in weißen Grals-Ritter-Umhängen folgten. Daraus entwickelte sich später ein völlig neuer Typus des Ritterstandes: das christliche Ordensrittertum der Templer. Die vorchristlichen Ideale des Gralskults wurden jedoch auch weiterhin gehütet und verehrt. Vor allem die Minnekultur‹ …«
»Folglich«, fiel ihr Gabriel ins Wort, »glaubte dein Vater, dass die ersten neun Tempel-Ritter ›Des Grales werthe Bruderschaft‹ waren, so wie Wolfram von Eschenbach sie in seiner Gralsdichtung beschreibt, deshalb das einleitende Eschenbachzitat.«
»Ich sehe, du bist ein belesener Mann. Auch mein Vater war ganz fanatisch nach dieser Dichtung. Vielleicht war das der Grund, weshalb ich mich nicht dafür interessiert habe. Ich werde mal weiterlesen, wir werden ja sehen, was da noch alles kommt. Also …
›Vor allem durch die Minnekultur entwickelten sich dann der Arthur- und Gralskult im Mittelalter zu einer komplexen höfischen Kultur; die die Verehrung der Liebe und der Frauen als matriarchales Element , die Verherrlichung von Rittertugenden als patriarchales Element und zuletzt auch das christliche Element durch ihren Bezug zur Heiligen Schrift umfasste. Im Laufe der Zeit setzte sich dieses christliche Element allerdings immer stärker durch und begann, alles andere zu verdrängen.
Die Arthursage, das Gralsreich und das Gralsrittertum sind abendländische Erscheinungsformen der Idee eines obersten Weltzentrums. Mit Beginn des ersten Kreuzzuges verortete man dieses Zentrum in Jerusalem. Deswegen ist es kaum verwunderlich, dass nach dem ersten Kreuzzug der kleine Kreis aus neun Rittern, beseelt von dem wahren Rittertum der Gralslyrik und ihrer Glaubenskraft, nach Jerusalem zogen, um dort zu wirken und die Pilger vor den gewalttätigen Überfällen zu schützten.‹ …«
»Jerusalem als mittelalterliches Weltzentrum!«, platzte es jetzt begeistert aus Gabriel heraus. »Den Templern ging es also nicht in erster Linie um die Pilger!«
»Vielen Dank für den Kommentar, aber ich möchte gern weiterlesen. Darf ich? Also …
›Ausgehend von diesem Zentrum der Welt strebten die Templer einem irdischen Himmelreich oder Gralsreich entgegen und suchten nach dem Weg zum wahren Menschsein. Das wahre Menschsein bedeutete ihnen neben der Gleichheit die Reifung des Wissens und der Spiritualität sowie die Mitarbeit an dem geistigen Tempelbau der neuen Menschheit. Um ihrem Wirken beim Bau des irdischen Gottesreiches Ausdruck zu verleihen, schufen und förderten sie den Bau der gotischen Kathedralen in sämtlichen großen Städten Europas. Sie sollten dazu beitragen, die Menschheit zu verändern und zu einem neuen Reich zu verbinden. Natürlich mussten derart umwälzende Ziele von dem Templerorden verheimlicht werden. Denn konsequenterweise würden diese Ziele in der Folge den Einfluss der weltlichen Herrscher sowie der römischen Kirche begrenzen, wenn nicht sogar ganz aufheben.‹ …«
»Wenn das die wahren Ziele der Templer waren, dann hatten sie allen Grund, sie geheim zu halten. Das hört sich ja wie ein Streben nach der Weltherrschaft an.«
»Ich dachte, sie strebten nach einem humanen Reich für alle, in dem sich jeder Mensch frei entfalten kann. Noch Fragen? Also ich lese jetzt mal weiter:
›Die Gründung des Templerordens fiel in eine Zeit, in der im heutigen Südfrankreich die kirchlichen Sakramente, die Kindertaufe, die Verehrung des Kreuzes und das Alte Testament abgelehnt wurden und in welcher der Theologe Pierre Abaelard in Paris der Vernunft den Vorrang vor dem Glauben gab und das Recht der Gläubigen verkündete, auch die kirchliche Autorität anzuzweifeln. Tief durchdrungen von ihrer Gralslyrik und dem freidenkerischen Geist dieser Zeit entwickelte sich der Orden auch zum Bewahrer einer alten Tradition.
Je stärker damals eine männlich dominierte Kirche die Zeugungskraft der Frau verdrängte, desto heftiger wurde der Wunsch nach dem weiblichen Prinzip. Dieses Prinzip kam in alten, mündlich überlieferten Gralslegenden deutlich zum Ausdruck. Daher war man bemüht, dem weiblichen Prinzip innerhalb der Kirche mehr Platz einzuräumen. Es ist historisch überliefert, dass zur Zeit der Templer der
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