Wächter des Mythos (German Edition)
Informationen noch nachhing, während ihre Finger über der Tastatur schwebten. »Wieso dann dieser Text über Steinmetzzeichen?«
»Die haben das wohl mit Hieroglyphen verwechselt. Und soviel ich weiß, gibt es über die exakte Bedeutung der Steinmetzzeichen eh keine absolute Klarheit. Na bitte, zerbrechen wir uns also nicht länger den Kopf darüber.«
»Also gut, ich lese dir mal das nächste Stichwort vor …
›Das gotische Bauwerk wird als eine Einheit verstanden, in der jedes Einzelteil vom Ganzen abhängt. Geometrische Schlüsselfiguren bestimmen die Grundrisse, Säulenstellungen und Höhenverhältnisse; somit also die gesamte architektonische Komposition. Nach diesen Schlüsselfiguren sollen auch bestimmte Geheimzeichen der Templer entwickelt worden sein. Als Grundlage dienen den Figuren oder Diagrammen das gleichseitige Dreieck und Quadrat, die auch das Sechseck, das Achteck und den Kreis beinhalten. Es handelte sich hierbei um geometrische Kompositionen, die, vergleichbar mit den indischen Yantren, den Aspekt des Göttlichen zum Ausdruck bringen. Vor allem kosmische Diagramme, die das Dreieck und das Fünfeck enthalten, symbolisieren die göttliche Ordnung und verleihen der mikro-makrokosmologischen Vorstellung Ausdruck: Das Pentagramm bezieht sich auf den Menschen, während das Universum durch das Hexagramm symbolisiert wird.‹ «
Gabriel sah Alina fragend an. »Es geht also ums gotische Mysterium, aber was hat das denn konkret mit unserer Sache zu tun?«
»Ich würde es mal so formulieren«, sagte Alina und warf ihm dabei über den Rand ihrer Brille einen schulmeisterlichen Blick zu. »Die Grundrisse der gotischen Kathedralen und die Geheimzeichen auf dem Kelch haben etwas mit Schlüsselfiguren oder eben kosmischen Diagrammen zu tun.«
»Und was heißt das? Etwa, dass die Bedeutung dieser runenartigen Geheimzeichen im gotischen Mysterium verborgen liegt? Na prima, ich gratuliere ! Dann haben wir damit ja eines der großen Vermächtnisse der legendären Tempelritter geknackt!«
»Ach, nun hör doch auf!«, sagte Alina lebhaft. »Es geht hier um Mystik und Symbolik wie in anderen Religionen auch. Nur will das bei der Gotik niemand öffentlich anerkennen, da es nicht in direktem Zusammenhang mit dem offiziellen Selbstverständnis der Kirche steht.«
»Ach! Und warum soll das gotische Mysterium nicht in direktem Zusammenhang mit dem offiziellen Selbstverständnis der Kirche stehen?«, fragte Gabriel unschuldig.
»Weil die mittelalterliche Kirche nicht fähig war, in diesen komplexen Zusammenhängen und Konzepten zu denken. Die Weltanschauung der Templer überschritt bei Weitem den intellektuellen Horizont der Kleriker und Monarchen. Daher mussten die Streiter Gottes ja auch beseitigt werden.«
»Die Templer waren also intellektuelle Mystiker, lauter Philosophen, die die Welt verändern wollten«, entgegnete Gabriel provozierend.
»Nein, natürlich waren sie das nicht, jedenfalls nicht alle. Dazu hatten sie am Anfang ja ihren geistigen Vater, Bernhard von Clairvaux.«
»Du meinst das geistige Haupt des Zisterzienserordens …? Na ja, der hat ja auch die Ordensregeln der Templer verfasst.«
»Gut, dass wir uns wenigstens in diesem Punkt einig sind. Bernhard von Clairvaux gilt als der eigentliche Begründer der mittelalterlichen Mystik und des Templerordens, er ist also nicht nur der Verfasser der Ordensregeln der Templer. Zudem ist er der wichtigster Bekenner und Förderer des Kults um die Heilige Mutter Gottes.«
» Toll! Und für all das gibt es Beweise?«
»Es gibt schriftliche Hinweise, die seinen Einfluss bestätigen.«
»Na gut«, gab sich Gabriel geschlagen, »vielleicht war er ja auch ein Wolf im Schafsfell oder ein Druide im Gewand eines Priesters. Jedenfalls bringt uns das so nicht weiter und ich glaube, diesen Teil haben wir jetzt wirklich erschöpfend genug behandelt.«
»Dann gehen wir mal zum nächsten Thema.«
Alina klickte auf das Stichwort patriarchales Element :
» ›Dieser Teil meiner Grals-Trilogie behandelt den ›patriarchalen Gral‹ mit der lateinischen Inschrift . Er steht für Torheit und symbolisiert den Unwissenden und Suchenden …‹ « Alina konnte sich beim Vorlesen einen gewissen schadenfrohen Unterton nicht verkneifen, fuhr dann aber betont sachlich fort: » ›Das männliche Prinzip findet seinen primären Ausdruck in der Suche nach der verlorenen Göttlichkeit. Das Initiationsritual versteht sich als ein Ritus, der vom Profanen zum Heiligen, vom
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