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Wächter

Wächter

Titel: Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baxter Clarke
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können. Aber der Schrei, den sie gehört hatte, stürzte sie in einen Konflikt. Einen Konflikt, der durch eine Entscheidung gelöst werden musste.
    Die Bombe ordnete ihre kalten Gedanken und fragte sich, wie sie ihre noch nicht getesteten Kräfte zum Tragen bringen sollte.
    Und sie wandte sich ab.

FÜNFTER TEIL
    LETZTE KONTAKTE

{52}
PARADE
    Bisesa und Emeline verließen die Wohnung zum letzten Mal. Sie waren mit Rucksäcken und Reisetaschen bepackt. Der Himmel war eine geschlossene Wolkendecke, aber wenigstens schneite es nicht.
    Emeline schloss die Wohnung sorgfältig ab und steckte die Schlüssel in eine Tasche ihres dicken Pelzmantels. Natürlich würde sie nie wieder hierher kommen, und es würde auch nicht mehr lang dauern, bis das Eis kam und das Gebäude zerdrückte. Aber Emeline schloss trotzdem ab. Bisesa sagte nichts; sie hätte genauso gehandelt.
    Bisesa vergewisserte sich noch einmal, dass sie ihren einzigen wichtigen Besitz mitgenommen hatte: das Handy, das mit den Raumanzug-Akkus in einer Innentasche verstaut war.
    Dann gingen sie zur Michigan Avenue.
     
    Michigan, eine Schlucht aus Beton und Ziegelsteinen zwischen geschwärzten Wolkenkratzern und geschlossenen Geschäften, glich einem Windkanal, und Emeline und Bisesa mieden den Blick nach Norden, um die Augen zu schützen.
    Aber die Prozession versammelte sich bereits: Tausende Menschen standen auf dem gefrorenen Schlamm und formierten sich allmählich zu einer ordentlichen Marschkolonne. Bisesa hatte überhaupt nicht gewusst, dass sich noch so viele Menschen in Chicago aufhielten. Da waren Fuhrwerke aller Art versammelt, von Heuwagen bis hin zu eleganten Phaetons und luxuriösen Stanhope-Kutschen mit diesen gedrungenen, an die arktische Kälte angepassten Pferden. Selbst die städtischen
Straßenbahnen waren mit Passagieren überfüllt und standen für ihre letzte Fahrt bereit.
    Die meisten Menschen waren aber zu Fuß unterwegs, mit Bündeln auf dem Rücken oder in Handkarren, und mit ihren Kindern oder Enkelkindern an der Hand. Viele Chicagoer hatten sich in ihre Eskimopelze gehüllt, doch widersetzten sich heute einige Leute den Elementen und trugen ihren besten Sonntagsstaat: Frack und wallende Abendkleider, Zylinder und Pelzmäntel. Sogar die vielen Prostituierten der Stadt waren ins Licht gekommen. Sie lachten und flirteten, stellten ihre angemalten Lippen und mit Rouge gepuderten Wangen, ihre trotzig blitzenden Knöchel und Dekolletees zur Schau wie Paradiesvögel. Die versammelten Menschen unterhielten sich angeregt.
    Die Parade sollte von glänzenden schwarzen Kaleschen angeführt werden, die vor dem Lexington Hotel vorgefahren waren. Sie würden die Würdenträger der Stadt befördern, hauptsächlich die Verwandten des Bürgermeisters Rice und seine Seilschaften. Und Thomas Edison, so ging das Gerücht, saß in Decken gehüllt in einer Kutsche »Marke Eigenbau«, die durch einen tragbaren elektrischen Generator beheizt und erleuchtet wurde.
    Rices Kutsche aus poliertem Holz und mit schwarzen Zierstreifen stand an der Spitze des Zugs, und Bisesa sah zu ihrem Erstaunen, dass die Kutsche von einem wolligen Mammut gezogen werden sollte. Das Tier war unruhig. Es hob den Kopf mit dieser sonderbaren Aufwölbung auf dem Schädel, und die langen eingedrehten Stoßzähne funkelten. Als seine nervösen Führer das Tier mit Stangen und Peitschen schlugen, trompetete es - ein spröder Laut, der von den Fenstern der Wolkenkratzer widerhallte. Damit hatte Rice den Vogel abgeschossen, gestand Bisesa sich widerstrebend ein - zumindest solange das Mammut kein Kleinholz aus der Karre machte, die es ziehen sollte.
    Die ganze Veranstaltung war ein Spektakel - was es auch sein sollte -, und Bisesa zollte Rice und seinen Beratern Bewunderung
für die Art der Durchführung und das Datum, das sie dafür gewählt hatten. Auf Mir schrieb man nämlich den 4. Juli 41 nach dem Kalender, den die Astronomen der Universität erstellt hatten.
    Jedoch war diese Parade zum Unabhängigkeitstag zugleich der Exodus aus dem alten Chicago. Diese Menschen waren keine Partylöwen, sondern sie waren Flüchtlinge und hatten sich viel vorgenommen: einen langen Marsch durch die Vorstädte und aus der Stadt hinaus nach Süden, immer weiter nach Süden zu einer neuen Heimat jenseits des Eises. Aber es gab auch einige, die sich dem Zug nicht anschließen wollten: Rowdys und Hedonisten, Trunkenbolde und Penner und ein paar Sturköpfe, die ihre Häuser einfach nicht verlassen wollten. Die

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