Wächter
unbewegliche Gruppe da drüben? Neandertaler. Die Mazedonier haben sie seit ihren Feldzügen in Europa eingesetzt. Ihre Schleifer sagen, sie würden nur unter Zwang kämpfen. Aber es genügt schon ihr bloßer Anblick, um dem Feind eine Heidenangst einzujagen.«
Der Kampf spielte sich zum Glück in großer Entfernung von der Eisenbahntrasse ab. Die Lok pflügte schnaufend weiter und ließ das Schlachtfeld hinter sich. Doch sie hatten erst eine kurze Wegstrecke zurückgelegt, als schon die nächste Gefahr drohte.
»Das auch noch«, sagte Emeline und wies nach vorn. »Menschenaffen. Schauen Sie, Bisesa!«
In Fahrtrichtung sah Bisesa gebückte Gestalten auf einer niedrigen Düne; sie zeichneten sich als Silhouetten gegen den Abendhimmel ab.
»Manchmal greifen sie die Züge an, um Nahrungsmittel zu erbeuten«, sagte Abdi. »Sie werden immer dreister. Inzwischen folgen sie schon den Schienen bis zur Stadt.«
Zielstrebig stiegen die Menschenaffen die Düne herab. Mit den menschlichen Beinen unter schweren gorillaartigen Leibern hatten sie eine watschelnde Gangart. Ihre Bewegungen wirkten ebenso entschlossen wie bedrohlich.
Vom rasselnden, keuchenden und langsamen Zug aus verfolgte Bisesa diese Entwicklung mit Unbehagen. Und dann glaubte sie, den Menschenaffen zu erkennen , der den Pulk anführte.
Ein Tier mit einem bemerkenswerten Gesicht - eine Art Januskopf aus Mutter und Säugling -, das Groves Tommies unmittelbar nach der Diskontinuität gefangen hatte. War das dasselbe Kind? Wie hatten die Männer sie gleich noch genannt - Greifer? Falls sie es wirklich war, war sie gealtert, vernarbt und verändert . Bisesa erinnerte sich daran, dass zwischen den gefangenen Menschenaffen - die man mit einem Auge allein gelassen hatte - und den Erstgeborenen eine eigene Interaktion stattgefunden hatte. Vielleicht war das das Ergebnis.
Nun streckte Greifer die Arme hoch in die Luft, und offenbarte, was von ihrem haarigen Körper bisher verborgen worden war. Es war ein kräftiger Ast, und darauf war der blutige Kopf eines Menschen aufgespießt. Der Mund klaffte auf - von einem Stock auseinandergehalten -, und abgebrochene Zähne glänzten weiß in den Strahlen der untergehenden Sonne.
Bisesa verspürte einen Anflug von Angst. »Ich glaube, dass ich sogar noch die Freilassung dieses Anführers der Menschenaffen verlangt hatte, sobald ich im Auge verschwunden war. Das war ein kapitaler Fehler.«
Dann griffen die Menschenaffen den herannahenden Zug an. Sie wurden mit einem Pfeilhagel von den Waggons begrüßt, aber die beweglichen Ziele waren schwer zu treffen, und es blieben nur wenige Menschenaffen auf der Strecke. Dennoch hatten sie den idealen Angriffszeitpunkt verpasst. Die Lokomotive pfiff, haarige Leiber versuchten die hölzernen Waggons zu entern und wurden mit Fäusten und Knüppeln abgewehrt. Die Attacke der Menschenaffen schlug fehl, einer nach dem anderen musste die Waggons loslassen, und dann führten sie frustriert kreischend einen Affentanz auf.
»Das kommt alle naslang vor …«, versicherte Abdi.
Während der Zug die Menschenaffen-Rotte zurückließ, piepte Bisesas Handy. Unter den neugierigen Blicken der anderen nahm sie es aus der Tasche.
»Guten Morgen, Bisesa.«
»Dann sprichst du also wieder mit mir.«
»Ich habe eine schlechte und eine gute Nachricht.«
»Die schlechte Nachricht zuerst«, sagte sie nach kurzer Überlegung.
»Ich habe die astronomischen Daten analysiert, die Abdikadir und seine Vorgänger in Babylon gesammelt hatten. Und ich habe die Gelegenheit zu eigenen Himmelsbeobachtungen genutzt.«
»Und?«
»Dieses Weltall stirbt.«
Sie ließ den Blick über die staubige Ebene und die Menschenaffen schweifen, die neben dem Schienenstrang herumhampelten. »Und die gute Nachricht?«
»Es ist ein Anruf eingegangen. Vom Mars, Wells Station. Es ist für dich«, fügte das Handy lakonisch hinzu.
{34}
ELLIE
September 2069
Am Nordpol des Mars, in der endlosen Nacht des Winters, verging die Zeit quälend langsam. Myra las, kochte, putzte, schmökerte in der virtuellen Bibliothek der Station und lud Filme von der Erde herunter.
Und sie erforschte Wells Station.
Es gab tatsächlich sieben tortenstückartige Pfahlbau-Module. Jedes war ein großer Raum, der durch einen Wabenkern-Fußboden unterteilt und um einen axialen Hauptzylinder herumgebaut war. Die Module waren allesamt mit Raketen hierher geflogen, an Fallschirmen gelandet und von einem Rover an ihre Standorte geschleppt worden. Dann
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