Wächterin der Dunkelheit: Roman (German Edition)
gehen. Sie wollte sich für einen Augenblick der Intensität seiner Gegenwart entziehen. Und in Ruhe alles überdenken, was sie erfahren hatte.
Sie wusste nicht, was sie glauben sollte, und hasste sich selbst für ihre Unsicherheit und Verwirrung. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich gerühmt, stets einen kühlen Kopf zu bewahren und die Dinge zu sehen, wie sie waren.
Jetzt allerdings …
Sie hatte keine Ahnung, was richtig und was falsch war. Nach allem, was sie von Alexion gesehen und gehört hatte, bezweifelte sie keine Sekunde, dass er sie töten könnte, wenn er wollte; und nicht nur sie, sondern auch alle anderen Dark Hunter. Bislang hatte er keine Anstalten gemacht, was seiner Aussage, dass er gekommen sei, um sie zu beschützen, zusätzliche Glaubwürdigkeit verlieh.
Vielleicht.
Verdammt. Ich hasse diese Unschlüssigkeit.
Soll ich einfach verschwinden und die anderen warnen oder lieber hierbleiben und ihn im Auge behalten?
Eine Frage, die sich nicht ohne Weiteres beantworten ließ.
Sie strich sich mit der Hand über die Stirn und beobachtete, wie Alexion die riesige Hershey-Schokoladentafel in die Hand nahm und daran roch. Er strich mit dem Finger über das braune Papier, als hätte er so etwas noch nie gesehen, ehe er sich an den Rändern der Tafel entlangtastete, als genieße er das Gefühl, die Tafel in seiner Hand zu spüren.
Mit schief gelegtem Kopf beobachtete Danger ihn. Sie liebte Schokolade heiß und innig, trotzdem hatte sie noch nie das Bedürfnis verspürt, eine Tafel auf eine so sinnliche Weise zu betasten. Die Art, wie er sie berührte, erinnerte sie beinahe an die Zärtlichkeit eines Geliebten – eine Geste, die ihm etwas seltsam Verletzliches verlieh.
Gütiger Himmel, ihre Fantasie ging eindeutig mit ihr durch.
»Soll ich euch beide lieber allein lassen?«
Erschrocken sah er auf, ging jedoch nicht auf ihre sarkastische Bemerkung ein. »Wie schmeckt Schokolade eigentlich?«
»Machen Sie sie auf, und probieren Sie sie, dann wissen Sie es«, gab sie stirnrunzelnd zurück. Was für eine seltsame Frage.
Mit einem tiefen Seufzer legte er die Tafel beiseite. »Das würde nichts nützen.«
»Wieso nicht?«
»Ich kann nichts schmecken.«
Erstaunt horchte sie auf. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es war, ohne Geschmacksknospen leben zu müssen. Zugegebenermaßen war es ein geradezu göttlicher Genuss, eine Tafel Hersheys oder all die anderen Leckereien zu verputzen, die aller Wahrscheinlichkeit nach gnadenlos ihre Arterien verstopfen würden, wäre sie noch ein Mensch. »Gar nichts?«
Er schüttelte den Kopf und betrachtete die Schokolade. »Ich weiß, dass Simi gern Schokolade isst. Sie redet ständig davon, hat aber noch nie eine Tafel mit nach Hause gebracht. In meiner Gegenwart isst sie ständig nur gegrilltes Fleisch und Popcorn und behauptet, es schmecke sehr lecker, aber auch sehr salzig.«
»Simi?«
Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie geschworen, dass er sich unbehaglich wand, so als wäre ihm der Name aus Versehen herausgerutscht. Ohne auf ihre Frage einzugehen, griff er nach ihrer Kaffeetasse und roch auch an ihr. Seine Miene verriet, dass es ebenso sinnlos war wie die Idee, Schokolade zu essen, die er ohnehin nicht schmecken konnte.
Was eine höchst interessante Frage aufwarf. »Aber wovon ernähren Sie sich, wenn Sie nichts schmecken können? Von Blut? Oder von Seelen?«
Mit einem gelangweilten Blick stellte er die Tasse wieder hin. »Ich sagte doch bereits, dass ich kein Daimon bin.«
»Das stimmt, aber als ich Sie niedergestochen habe, sind Sie wie ein Daimon in einer Wolke aufgegangen. Sie sind blond, essen nichts …«
»Ich bin kein Daimon«, wiederholte er.
»Haben Sie diesen Spruch schon mal gehört: Wenn es wie eine Ente watschelt und wie eine Ente quakt …?«
»Ist es noch lange kein Daimon.«
Touché. »Wovon ernähren Sie sich dann?«
Er bedachte sie mit einem intensiven, sinnlichen Blick. »Von Frauen al dente.«
Danger blieb angesichts dieser unerwarteten Vulgarität der Mund offen stehen. »Das wäre nicht nötig gewesen«, konterte sie abfällig.
»Dann hören Sie auf, mich zu löchern.«
Charme war eindeutig nicht seine Stärke. Andererseits brauchte er auch nicht charmant zu sein. In seinen Augen lag eine derartige Traurigkeit, dass es sie schmerzte; wider jede Vernunft, die ihr riet, schleunigst ein zweites Mal mit dem Messer auf ihn loszugehen – nur zur Sicherheit.
Sie trat näher und betrachtete ihn
Weitere Kostenlose Bücher