Wächterin der Träume
Gefühle in seinem Gesicht, dass ich sie gar nicht alle benennen konnte. Ich lief zu ihm, schlang die Arme um seine Mitte und drückte ihn, so fest ich konnte.
Zunächst zögerte er, da er keine Schwäche zeigen wollte. Doch dann erwiderte er meine Umarmung und legte die Wange auf meinen Scheitel.
»Falls du Madrene auch ein Amulett gegeben hast, solltest du vielleicht nachsehen, ob sie es noch besitzt«, flüsterte ich ihm ins Ohr.
Ich drückte ihn noch einmal, dann ließ ich ihn los und ging zu Verek und Noah zurück.
Ich nahm Noah bei der Hand. »Gehen wir«, sagte ich. »Hier haben wir nichts mehr verloren.«
Verek begleitete Noah und mich nur bis vor die Tür der Halle und ließ uns allein zum Palast gehen, wo meine Mutter schon auf uns wartete. Ich weiß nicht, woher sie wusste, was geschehen war, aber ich nehme an, dass Morpheus sie irgendwie benachrichtigt hatte.
Ihre Umarmung munterte mich mehr auf, als es jede Pille oder jeder Cocktail gekonnt hätten. Sie bot uns Tee oder etwas Stärkeres an, doch ich wollte nur allein sein. Mit Noah. Etwas Gutes hatte das Ganze doch, denn Mom schien sehr angetan von Noah zu sein.
Seit meinem letzten längeren Besuch hatte sich mein Zimmer im Palast verändert. Es war nun kein Jugendzimmer mehr, sondern für einen Erwachsenen eingerichtet, mit cremefarbenen Wänden, Möbeln aus Walnussholz und blassgoldenen Vorhängen und einer Tagesdecke. Das Bett war riesig und wirkte mit seinem hohen Kopfteil geradezu mittelalterlich.
Ich fand es herrlich.
»Genug Platz für zwei«, bemerkte Noah und ließ sich auf die Matratze sinken. »Alles in Ordnung mit dir, Doc?«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß, während ich zum Toilettentisch ging, auf dem mein altes Schmuckkästchen stand – der einzige Gegenstand im Zimmer, an den ich mich noch erinnerte. »Ich kann mich nicht recht entscheiden, ob ich zuversichtlich sein soll oder nicht.«
Ich hörte, wie Noah hinter mir aufstand und zu mir trat, und seufzte, als er mir die Arme um die Taille legte und mich an sich zog. Er fühlte sich so gut an! So fest und warm und stark …
Mein Blick fiel erneut auf das Schmuckkästchen. Es war klein und rosa – genauso, wie die meisten kleinen Mädchen es mochten. Ich drückte auf den Verschluss und ließ den Deckel aufspringen, worauf eine kleine Ballerina zum Vorschein kam und sich zu einer einfachen Weise im Kreis zu drehen begann.
Auf dem rosafarbenen Satin lagen mehrere kleine goldene Ringe, ein einzelner Rubinohrring, eine Handvoll dünner Ketten und ein runder Holzanhänger in Form zweier mit den Spitzen nach außen zeigender Halbmonde.
»Ich habe mein Amulett gefunden«, flüsterte ich und nahm es aus der Schatulle. Es hing an einem schlichten Lederband, wie es dem Geschmack einer Achtjährigen entsprach.
»Dein Vater sah wirklich wütend aus, als du ihm das andere gegeben hast.«
»Das ist verständlich. Es bedeutet, dass jemand, dem er vertraut hat, ihm zu schaden versucht.«
»Und dir auch«, fügte Noah leise hinzu.
»Ja, mir auch.« Bei dieser Bemerkung machte es plötzlich klick in meinem Kopf. Ich drehte mich in Noahs Armen um und streifte ihm das Lederband über den Kopf.
Seine Stirn legte sich in Falten. »Was machst du da?«
»Ich gebe dir mein Amulett.«
»Das habe ich gemerkt. Aber warum?«
»Weil ich sichergehen will, dass es im Traumreich jemanden gibt, dem ich vertrauen kann. Jemanden, der kommt, wenn ich ihn brauche, und der mich in der Not beschützt.«
Er sah mich liebevoll an, bevor er auf den kleinen Anhänger auf seiner Brust blickte. »Aber damit kann ich Dinge tun, zu denen eigentlich kein Sterblicher in der Lage sein sollte. Verstößt das nicht gegen das Gesetz?«
Sorglos tätschelte ich ihm die Wange. »Wir haben doch wohl festgestellt, dass sich hier keiner an die Gesetze hält. Jedenfalls nicht mehr. Es wird unser Geheimnis bleiben, und außerdem kannst du ohnehin schon mehr als die meisten Menschen.«
Wieder ernst geworden, blickte ich ihn an. »Ich habe dich vermisst«, gestand ich ihm. »Es tut mir alles so leid.«
Er nickte. »Mir auch. So leicht hätte ich dich auch nicht gehen lassen.«
»Aber du hast nicht zurückgerufen.«
Sein Lächeln war schief und voller Selbstironie. »Wenn der Stolz eines Mannes verletzt ist, versucht er eben, sich rar zu machen.«
Ich strich mit den Händen über seine muskulöse Brust. »Und was tut ein Mann, wenn eine Frau über ihren Schatten springt?«
Offensichtlich küsst
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