Während die Welt schlief
das Haar und begannen darüber zu reden, was wir durchgemacht hatten. Schließlich weinten wir.
Der kleine Samir hämmerte gegen die Metalltür. Mein Kopf ragte bereits zum Fenster hinaus, und unsere Nachbarin Samira streckte ihren aus dem Fenster nebenan.
»Amal«, rief Samir mir zu, »Yussuf lebt!«
Samira – ihr Haar war zerzaust, und sie hatte noch Schlaf in den Augen – fragte nach ihrem Bruder. »Was ist mit Faruk?«
Doch Samir hatte seine kurzen Beine schon in die Hand genommen und war losgesprintet. Andere Kinder aus dem Lager hatten sich ihm angeschlossen, und die wachsende Meute rannte umher wie eine Schar kleiner Todesfeen, die alles in Panik versetzten. Ich zog den Kopf zurück, um Mama zu wecken, aber sie kam schon auf mich zu.
»Was ist los?«
»Samir Haitham sagt, Yussuf ist nackt.«
»Was?«
»Yussuf lebt.«
»Allahu akbar! Wo ist mein Sohn?«
»Ich glaube, im Pfirsichhain.«
»Ist dein Vater bei ihm?« Sie stellte die Frage, die mir am meisten auf den Nägeln brannte.
Mama und ich waren im Nu draußen. Sie hatte ihr Lieblingstuch eng um den Kopf geschlungen, seine Säume ergossen sich über ihre Schultern. Dieses Tuch hatte Baba ihr Jahre zuvor geschenkt, als er sein erstes Gehalt als Hausmeister der UNRWA-Schule für Flüchtlingsjungen erhalten hatte. Es war mit einer Ziernaht eingefasst und einmal weiß gewesen, inzwischen aber vergilbt. Als Mamas Körper schließlich mit ihrem Geist gleichzog, der sich kurz nach dem Krieg von 1967 aus dieser Welt verabschiedet hatte, behielt ich das Tuch. Ich habe es immer noch. Es liegt sicher verwahrt in einer kleinen Kiste, die alles enthält, was mir von meiner Familie geblieben ist.
Doch an diesem vierzigsten Tag wollte ich nur eines: Baba sehen. Nichts anderes zählte. Nichts Geringeres würde meine Wunden heilen, als in der Sicherheit seiner Umarmung zu liegen und ihn flüstern zu hören, dass alles gut werden würde.
Immer mehr Menschen strömten zusammen. Es war offensichtlich, dass tatsächlich einige Männer zum Lager zurückkehrten. Frauen stimmten ihren klagenden Zagharit-Triller an und skandierten »Allahu akbar«. Ich wusste, dass Yussuf dabei war, doch von Baba war keine Rede.
In der chaotischen Anspannung, die diese endlosen Momente vor der Ankunft der Männer begleitete, harrte ich aus. Je länger ich vergeblich nach Babas Gestalt in der Ferne spähte, umso mehr schnürte mir die Furcht vor dem Unerträglichen das Herz zusammen. Ich musste meine ganze Willenskraft aufbieten, um mir das Weinen zu verkneifen, und kletterte auf das flache Dach eines intakten Hauses, um klare Sicht zu haben.
Als ich die überstürzt errichteten israelischen Wachtürme erblickte, die die Landschaft nun prägten, hatte ich das Gefühl,
Jahre hätten sich zu Wochen verdichtet – ein schrecklicher, endloser Traum. Der erdige Geschmack des Todes war allgegenwärtig, und blutbefleckte Erde, der ekelhaft süßliche Geruch von Verwesung und von versengtem Boden gruben sich in Bildfetzen in meine Erinnerung an diese Tage ein. Wir liefen herum, gingen aber nirgendwohin. Wir schauten, doch die Wirklichkeit vernebelte uns die Sicht. Wir atmeten den Staub von Schlachtfeldern ein und aus, bekamen aber keine Luft. Als die Menschenmenge sich vergrößerte, schaute ich in der Stille meines privaten Ausgucks vom Dach hinab. Wir waren Flüchtlinge, alle. Diejenigen, die geflohen waren, waren auf einem der Schrottplätze für Menschen gestrandet, mit denen das noch junge Israel übersät war. Diejenigen, die geblieben waren, wurden in Jenin zu Gefangenen.
Jetzt galten unsere Hoffnungen der Freiheit. Anfangs waren wir noch zuversichtlich gewesen, nach Hause zurückkehren zu können, nun bettelten wir um Grundrechte. Vorher hatten wir uns danach gesehnt, Haifa, Yaffa, Lod besuchen zu können. Jetzt war es lebensgefährlich, an die frische Luft zu gehen. Vorbei die Zeit der Familienausflüge nach Tulkarem oder Ramallah. Auch Jerusalem war verloren. »Sie haben Jerusalem niedergebrannt, möge Gott sie ebenfalls verbrennen«, sagte eine Frau in einem Zusammenhang, an den ich mich nicht mehr erinnere.
Huda kletterte zu mir aufs Dach, wo ich in der Ferne nach Baba Ausschau hielt.
Unsere schrecklichen Erlebnisse in der Küchengruft schweißten Huda und mich zusammen. Ihre Güte und Loyalität führten oft dazu, dass sie in unserer Freundschaft zurücksteckte. In den kommenden Jahrzehnten legte Huda bei Schicksalsschlägen eine natürliche Selbstsicherheit und ruhige
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