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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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man bombardiert, und es roch noch nach Feuer. In der Halle saßen Hunderte Kinder auf dem Boden. Die meisten hatte der Krieg zu Waisen gemacht. Es wurde kaum gesprochen – als würde das Aussprechen von Dingen Tatsachen schaffen. Das Schweigen sollte suggerieren, dass alles bloß ein Albtraum war. Die Stille reichte bis unters Dach und sammelte sich dort, ließ Traurigkeit und ungesehenes Chaos widerhallen, als ob zu viele Seelen auf einmal emporstiegen. Wir existierten irgendwo zwischen Leben und Tod, die uns beide nicht ganz akzeptieren wollten.
    Schwester Marianne kam mit einem Krug Wasser.
    »Folgt mir, ihr Lieben. Ihr müsst zusammen baden, um Wasser zu sparen«, teilte sie uns mit, als Huda und ich hinter ihr her zum Waschraum gingen. Die gute Nonne goss das Wasser ein und ließ uns allein. Wir waren so verwirrt, dass wir mitsamt
unseren schmutzigen Kleidern in die Wanne stiegen. Das warme Wasser umschloss meinen Körper wie eine zärtliche Umarmung und murmelte ein Versprechen von Sicherheit.
    Huda und ich entkleideten uns in der Wanne und setzten uns einander gegenüber. Schmutzig braunes Wasser trennte uns, doch unsere Beine berührten sich. Wir starrten einander an, lasen uns gegenseitig vom Gesicht ab, was wir dachten und welch schreckliche Angst wir fühlten. Wir wussten, dass wir eine unsichtbare Grenze überschritten hatten, hinter der es kein Zurück gab. Die Welt, die wir kannten, gab es nicht mehr. Irgendwie begriffen wir das. Wir weinten leise und umschlangen einander mit unseren dünnen Armen.
    So lagen wir da, verstummt dank einer Vorahnung, für die wir keine Worte fanden. Ich betrachtete meine Zehen, die aus dem Wasser ragten. Abgeplatzter roter Nagellack. Es war erst eine Woche her, seitdem wir den Nagellack herumgereicht hatten, ganz aus dem Häuschen, weil er uns das Gefühl gegeben hatte, älter zu sein. Jetzt saßen wir in der Kirche, in der Jesus geboren worden war, in einer Badewanne, und unsere Nägel trugen noch immer Spuren dieses Tages. Nur eine Woche, und die Welt hatte sich von einem Jahrmarkt der Eitelkeiten in eine Hölle verwandelt.
    Langsam ließ ich meinen Körper tiefer gleiten und zog den Kopf unter Wasser. Dort, in dieser Welt der Stille, derselben Stille, die ich nach der Detonation gehört hatte, die die Küche zerstört und Aisha getötet hatte, verspürte ich den bizarren Wunsch, ein Fisch zu sein.
    Ich konnte in der Trost spendenden Wasserwelt leben, in der man Schreie und Schüsse nicht hören konnte und in der es nicht nach Tod roch.

10
Vierzig Tage später
    1967
    A ls ich in unserem verwüsteten Lager aus dem zerborstenen Fenster blickte, war von der Sonne noch nichts zu sehen, doch der in Purpur- und Orangetönen lodernde Himmel kündigte ihr Aufgehen bereits an. Erstaunlicherweise hatten die Hähne überlebt. Sie krähten wie eh und je zu ihren üblichen Zeiten und ahnten nichts von dem unheilvollen Schatten, der über uns schwebte. Wie immer war ich vor der Morgendämmerung auf. Der Sonnenaufgang gehörte mir und Baba, der mir vorlas, wenn die Welt um uns herum noch im Schlaf lag. Vor vierzig Tagen war der Krieg zu Ende gegangen. Schwester Marianne hatte uns nach Jenin zu Mama zurückgebracht, die vollkommen gebrochen war. Baba und mein Bruder Yussuf wurden noch vermisst.
    Bald trug die Luft die Melodie des Adhan in unsere provisorischen Häuser und rief die Gläubigen zum Gebet. Jahrzehnte später, nach jahrelangem Exil, sollte dieser unverkennbare Rhythmus der arabischen Seele mein Herz mit der ruhigen Gewissheit erfüllen, dass meine Rückkehr nach Jenin die richtige Entscheidung gewesen war.

    Obwohl es noch gefährlich war, sich draußen herumzutreiben, rannte der kleine Samir, unser fünf Jahre alter Nachbar, wirres Zeug schreiend durch das Flüchtlingslager. Seine hohe Stimme zerriss die Stille während der Ausgangssperre, die nun auch zu unserem Leben gehörte.
    Ich dachte, das arme Kind würde die Schrecken der jüngsten Ereignisse noch einmal durchleben. Überrascht hätte es mich nicht, denn in letzter Zeit wimmerten die meisten Kinder im Schlaf.
    »Sie sind nackt«, keuchte Samir unzusammenhängend. »Sie brauchen Kleider. Sie haben es mir gesagt.«
    Der kleine Samir klang hysterisch, und die Leute wurden allmählich wach. Erschöpft und verwirrt dreinblickende Lagerbewohner spähten aus den Fenstern. Alte Frauen öffneten ihre improvisierten Türen einen Spalt weit, um einen Blick auf Samir zu erhaschen.
    »Was ist los?«, erscholl eine Stimme unten

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