Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
Vom Netzwerk:
weiße Haarbänder trugen und Bücher auf dem Rücken schleppten. Raja, ein zierliches Mädchen mit schalkhaft blitzenden Augen, kam angerannt. »Abla Amal«, keuchte sie, »Doktor Majid kommt heute Abend zu Mirwat, um nach ihrem Vater zu sehen.«
    Die bloße Nennung von Majids Namen löste ein Prickeln in Amal aus, das sie vor ihren Schülerinnen verbergen wollte. »Das ist gut. Wie geht es Abu Jalal nach seiner Operation?«, fragte sie mit gezwungener Lässigkeit.
    »Der Doktor kommt heute Abend, Abla«, wiederholte Raja noch einmal, ohne auf die Frage ihrer Lehrerin einzugehen.
    »Die Abla hat sich nach Abu Jalal erkundigt!«, raunzte ein anderes Mädchen Raja an und fügte dann hinzu: »Nicht nach dem Doktor.«
    »Also, Mädchen.« Amal schaute sie streng an und versuchte, mit der nötigen Autorität aufzutreten. »Geht in eure Klassen.«
    Dann zogen sie kichernd ab, voller Stolz über ihre Rolle in den Tratschgeschichten, die ihre Mütter sich gegenseitig erzählten.
    Amal blieb nach der Schule noch länger, um die Aufgaben für die nächste Woche vorzubereiten und die Zeit bis zum Abend totzuschlagen. Sie hoffte auf eine Begegnung auf dem Nachhauseweg. Schließlich brach sie auf und ging langsam am Haus
von Abu Jalal vorbei. Sie spähte in alle Gassen, die groß genug für ein Auto waren, aber sie entdeckte keinen weißen Fiat.
    Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie das Haus ihres Bruders betrat.
    »Wo warst du?« Fatima kam auf Amal zugelaufen, um ihr die Bücher abzunehmen.
    »Ich musste noch die Lehrpläne für die nächsten drei Wochen vorbereiten«, entgegnete Amal schnell.
    »Ich habe ein paar Kinder geschickt, um dich zu holen. Majid war hier. Er ist vor nicht mal einer Viertelstunde wieder gegangen«, sagte Fatima. Und wieder löste die Nennung von Majids Namen ein Kribbeln tief in Amal aus.
    »Salama ya-ukhti.« Yussuf kam und drückte Amal einen Kuss auf die Stirn. »Majid hat dieses Buch für dich abgegeben. Er hat gesagt, du sollst gut darauf aufpassen.«
    Langsam nahm sie das Buch entgegen. Es war Majids geliebtes Suwaru-l Kawakib . Sie schaute ihren Bruder an und blickte ihm in die Augen, um nach Spuren einer Unterhaltung mit Majid zu suchen. Sicherlich hätte Yussuf das Buch nicht angenommen, ohne Fragen zu stellen, und Majid hätte es nicht übergeben, ohne Näheres zu erklären. Im Gespräch hätten Majid und Yussuf sich nicht gegenseitig angelogen oder dem anderen Dinge verheimlicht. Ehrlichkeit war eine Frage der Ehre. Und die Ehre stand an erster Stelle.
    Doch Yussuf sagte nichts weiter, und aus seiner Miene konnte Amal nichts ablesen außer einer fast schon nervenden Offenheit.
    Yussuf gähnte. Er streckte seine langen Glieder und drehte den Kopf zu seiner Frau. »Fatuma, Habibti …« So nannte er Fatima, wenn er etwas von ihr wollte. »Ich gehe heute früh zu Bett, und du?«
    »Dein Bruder hält mich ganz schön auf Trab«, flüsterte Fatima ihrer Schwägerin fröhlich ins Ohr.

    »Ahh!« Amal hielt sich die Ohren zu. »Ich will so etwas nicht über meinen Bruder hören!«
    Fatima küsste Amal auf die Wange, verzog sich lachend ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Amal ging in den Hof. Das Buch hatte sie fest in der Hand. Sie hielt es sich unter die Nase und bildete sich ein, sie könnte Majids Rasierwasser, gemischt mit dem Geruch des alten Ledereinbands, erschnuppern. Sie schlug es auf, und eine säuerliche Note schlug ihr aus dem alten Papier entgegen. Zwischen dem Einband und der ersten Seite entdeckte sie einen kleinen, weißen Umschlag: Für Amal.
    Sie griff danach. Yussuf weiß es. Majid hätte ihn nie einfach nur als Boten benutzt. Und Fatima weiß es auch. Dass sie so früh zu Bett gingen, gehörte zu ihrer Verschwörung.
    Gleich würde Amal es auch erfahren.
    Bismillahi al-Rahmani al-Rahimi
    Liebste Amal,
    ich weiß nicht, wie ich diesen Brief beginnen soll, außer Dir zu gestehen, dass ich seit dem Tag, als ich Dich vom Flughafen abholte, nur noch an Dich denke. Und seit dem Abend am Strand träume ich von Dir. In letzter Zeit bin ich absichtlich nicht mehr oft nach Shatila gekommen, denn ich hoffte, ich würde irgendwann wieder klar denken können. Aber so viel ich auch darüber nachdenke: Ich habe mich in Dich verliebt.
    Ich habe mein Leben dem Widerstand gewidmet und mich ganz dem Kampf verschworen. Ich dachte, in meinem Herzen wäre kein Platz mehr für andere Bindungen. Aber Du hast mein Herz an Stellen berührt, die ich vorher nicht

Weitere Kostenlose Bücher