Während die Welt schlief
wert!«
»Bitte. Ich möchte nichts über die sexuellen Fähigkeiten meines Bruders hören«, rief ich und hielt mir die Ohren zu.
Sie lachte. Aber als ich ihr gestand, in den Vereinigten Staaten eine Reihe enttäuschender Beziehungen durchgemacht zu haben, senkte sie die Stimme und ließ mich an der Weisheit teilhaben, die sie tief in ihrem Inneren verschlossen hatte.
»Amal, ich glaube, die meisten Amerikaner lieben nicht so wie wir. Sie sind nicht besser oder schlechter als wir, aber sie leben oberflächliche Leben in sicheren Verhältnissen. Ihre Emotionen sind daher nicht so tief wie unsere. Ich sehe, du bist verwirrt. Denk nur an das Gefühl der Angst. In Situationen, in denen uns gerade mal bange ist, sind andere in Todesangst erstarrt. Wir sind abgestumpft, weil ständig irgendwelche Gewehre auf uns gerichtet sind. Das Grauen, das wir kennen, ist etwas, das nur wenige Westler je erleben werden. Die israelische Besatzung stürzt uns von klein auf in die heftigsten Emotionen,
und das führt dazu, dass wir irgendwann nur noch die Extreme wahrnehmen können.
Die Wurzeln unserer Trauer sind so fest mit dem Verlust verbunden, dass der Tod für uns beinahe schon ein Familienmitglied ist, das uns nur froh stimmt, wenn wir ihm aus dem Weg gehen können. Und trotzdem gehört es zu uns. Unsere Wut ist ein heiliger Zorn, den die Westler nicht begreifen können. Unsere Trauer kann die Steine erweichen. Und wenn wir jemanden lieben, ist es nicht anders.
Unsere Art von Liebe kann man nur empfinden, wenn man schon vor Hunger wach gelegen und geglaubt hat, dass der eigene Körper einen von innen auffrisst. Oder wenn man ein Bombardement überlebt hat oder eine Kugel durchs eigene Fleisch geschlagen ist. Das ist die Liebe, die sich nackt der Unendlichkeit entgegenwirft. Ich glaube, dort wohnt Gott.«
Fatima und Yussuf hatten lange aufeinander gewartet und sich ihre Liebe während des Krieges bewahrt – so hatten sie dieses Geheimnis entdeckt.
Eines Freitags nach dem Gebet kam Majid meinen Bruder besuchen. An diesem Tag war ich seit genau zwei Wochen in der Mädchenschule der Vereinten Nationen beschäftigt, wo ich den Sommer über unterrichtete. Es war außerdem ein denkwürdiger Tag, weil die kleine Filastin zum ersten Mal lächelte.
Fatima ging mit einem Tablett, auf dem sie Nüsse und Kaffee für den Gast balancierte, an mir vorbei und flüsterte in mein Ohr: »Das ist der Arzt, von dem ich dir erzählt habe.«
Der Mann, mit dem sie mich verkuppeln wollte, war der Mann, der mich vom Flughafen abgeholt hatte.
Voller Elan schlug Fatima vor, dass Majid mir die Stadt zeigen sollte, denn ich hatte das Lager noch nicht verlassen, seit ich vor einem Monat angekommen war. Er zögerte, und ich
war peinlich berührt. Fatimas Absichten waren offensichtlich und brachten uns in eine unangenehme Lage. Yussuf schaute unzufrieden drein bei der Vorstellung, dass seine unverheiratete Schwester alleine mit einem fremden Mann gesehen würde. Natürlich vertraute er Majid. Aber man musste bestimmte Regeln einhalten. Das gehörte sich einfach.
»Ich meine doch nur, dass Amal dir bei den Geburten helfen kann«, erklärte Fatima unbeirrt.
Majid arbeitete regelmäßig ehrenamtlich im Lager, was hieß, dass er ziemlich viele Geburten leiten musste.
Fatima fügte hinzu: »Umm Yussuf, Friede ihrer Seele, war Hebamme und gab Amal ihr Wissen weiter. Zusammen haben die beiden viele Babys in Jenin auf die Welt geholt.«
Dalia und ich waren ein Team gewesen.
Majid schaute Yussuf an, denn er war das Oberhaupt der Familie. Mein Bruder widersprach nicht, daraufhin nahm Majid meine Hilfe gerne an. »Umm Laith wird nächste Woche ihr Kind bekommen.« Er sagte, er fühle sich geehrt, wenn ich ihm assistieren würde. Natürlich nur, wenn ich wollte.
Ich blickte Yussuf an, denn ich liebte ihn, und ich wollte ihm zeigen, dass er das letzte Wort hatte, was die Angelegenheiten seiner Familie anging. Er verstand die Geste und gab uns seinen Segen. »Von mir aus ist das in Ordnung. Möge Allah euch Kraft geben.« Wenn seine Schwester und sein engster Freund Gefallen aneinander fänden, dann wäre sein Glück perfekt. Er wollte alles richtig machen. Um sein Versprechen Baba und mir gegenüber einzulösen.
Wudu, dann Salat. Ich hielt eine frische Schere über die Flamme, »im Namen Allahs des Barmherzigen, des Gnädigen«. Majid wurde irgendwo aufgehalten. Ich musste ohne ihn zu Umm Laiths Haus gehen.
Auf dem Weg bemerkte Fatima, ich sei zu still.
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