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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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»Du brauchst nicht aufgeregt zu sein, du hast das schon tausendmal gemacht.«
    Ohne darüber nachzudenken, antwortete ich mit dem, was Mama mir einmal gesagt hatte. »Nicht reden. Jetzt ist nicht die Zeit dazu.« Sofort tadelte ich mich dafür. Ich werde es Fatima später erklären.
    Das Baby lag verkehrt herum im Bauch der Mutter. Das begriff ich sofort. »Hilf mir, sie zu drehen!«, schrie ich, und dann merkte ich, dass ich mich beruhigen musste. Was immer du fühlst …
    Ich hielt kurz inne und murmelte ein Gebet. Atme, mein Kind. Ich keuchte, Dalia, hilf mir , und tastete mit den Handflächen nach dem Kind. »Vertrau ganz auf Allah«, flüsterte ich der verzweifelten Frau zu. Lass Allah durch deine Hände wirken , wisperte Dalia mir zu.
    Endlich kam Majid und rief einen Krankenwagen. Ich hörte: »Kaiserschnitt«, »Das reicht«, und Fatima sagte: »Warte.«
    Das Baby drehte sich gerade noch rechtzeitig. Es starb nicht, und auch die Mutter war nicht mehr in Gefahr. Die Nabelschnur war nicht im Weg, und der Kopf war dort, wo er sein sollte. Majid übernahm, holte einen Jungen auf die Welt und schickte Mutter und Kind in die Klinik, damit sie wieder zu Kräften kommen konnten.
    »Wo ist Amal?«
    Ich hatte mir die Hände gewaschen und war gegangen, getrieben von der Anstrengung der vergangenen Stunden und der quälenden Erinnerung an die vergangenen Jahre. Getrieben von Dalia. Wie es doch schmerzte, so süß und wohltuend, wieder Amal zu sein – nicht die anonyme Amy.
    Ich ging immer weiter, und dann stand er plötzlich vor mir. »Das habe ich noch nie gesehen. Ich wusste nicht, dass man so
etwas machen kann.« Majid hatte sich die Haare schneiden lassen. Einige Monate später gestand er mir, dass er es für mich getan hatte, denn er wollte einen guten Eindruck auf mich machen. »Das haben sie uns im Medizinstudium nicht beigebracht. Sie sehen ein bisschen blass aus. Geht es Ihnen gut?«
    »Ich bin erschöpft.« Ich blickte zu Boden. Ich vermisse meine Mutter.
    »Darf ich Sie nach Hause begleiten?«
    Ich nickte. Ja.
    »Haben Sie Hunger?«
    Wie ein Wolf. Worauf will er hinaus?
    »Ich dachte … ich rieche Shawerma aus Abu Nayifs Restaurant«, stotterte er. »Ich glaube, das ist in Ordnung, denn morgen wissen sowieso alle, dass Sie meine medizinische Assistentin sind.« Er probierte aus, wie sich seine wirbelnden Gedanken ausgesprochen anhörten, und hoffte, einer davon würde schon passen und diese unangenehme Pause ausfüllen – er merkte nicht, dass er mit mir flirtete. »Aber wenn Sie das zu gewagt finden, kann ich auch etwas zum Mitnehmen holen, und wir essen zu Hause.«
    Wir hatten eine Frau und ihr Kind den Klauen des Todes entrissen, Dalia hatte mir geholfen, ein weiteres Stück meiner selbst zu entdecken, und jetzt tat sich Majid so schwer damit, mich den Regeln unseres Kulturkreises entsprechend zum Essen einzuladen.
    Ohne mein Dazutun kräuselten sich meine Lippen in ein Lächeln. Verschmitzt schlug ich vor: »Wir könnten durchaus in der Stadt essen.« Er grinste, erleichtert, dass er mich nicht vor den Kopf gestoßen hatte. Auf seiner linken Wange war plötzlich ein Grübchen zu sehen, das ich noch nicht kannte – eine kleine Vertiefung, die von seinem Bartschatten und seinem wunderbaren Lächeln gebildet wurde.

    Es wurde langsam dunkel, als wir zu Fatima schlenderten, um ihr eine Nachricht zu hinterlassen. Yussuf würde erst spät nach Hause kommen, aber Majid und ich wollten beide vor seiner Rückkehr wieder zu Hause sein. Also einigten wir uns auf Shawerma am Strand.
    »Das ist also die ›Braut Palästinas‹«, bemerkte ich, als ich schließlich dem Mittelmeer gegenüberstand, das vor mir im Mondlicht glitzerte. »Mein Vater hat das immer so gesagt. Jiddu Yahya – den ich nie kennengelernt habe – hat ihn und Ammu Darwish oft ans Meer mitgenommen, damals, als Palästina noch Palästina war.«
    »Es wird immer Palästina bleiben«, sagte Majid leise, als fiele es ihm schwer. Er atmete tief aus. »Übrigens«, fügte er hinzu, jetzt flüssiger: »Die Libanesen nennen das Mittelmeer die ›Braut Libanons‹. Und ich glaube, die Griechen und die Italiener behaupten auch, es sei ihre Braut.«
    »Eine ganz schöne Herumtreiberin.«
    »Das kann man wohl sagen.«
    Er lachte, und ich dachte an sein Grübchen. Die Stimmung war seltsam, aber schön. In der unendlichen Dunkelheit leuchteten die Sterne, und das Licht des Halbmonds ergoss sich ins Meer.
    »Schau mal«, forderte Majid mich auf.
    »Was

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