Während die Welt schlief
herwiegten. Weil die Männer nicht dabei waren, legten die Frauen den Hidschab ab. Darunter kamen dunkle und mit Henna gefärbte Locken zum Vorschein. Ihre Schleier banden sich die Frauen um die Hüften, die sie nach orientalischen Rhythmen bewegten. Sie tanzten, um die Braut zu ehren und die Ehe zu segnen, so wie es schon Generationen arabischer Frauen vor ihnen getan hatten, in dieser abgeschiedenen Welt, zu der kein Mann jemals Zutritt bekam.
»Aaaaaahh iiii aaaaahh«, begann eine ältere Matriarchin laut zu singen. Die Menge verstummte. »Möge Allah die Braut mit Fruchtbarkeit beschenken.«
Eigentlich hätten die älteren Frauen aus Amals Familie diese uralten Segenssprüche darbringen müssen, aber Fatima war
ihre einzige Verwandte im Libanon, und sie war noch nicht alt genug dafür.
»Aaaaaahh iiii aaaaahh«, fuhr die Alte fort und schickte ihre Gebete gen Himmel. Die Zagharit-Zeremonie war eine Tradition, die schon die Urgroßmütter der Frauen in Ehren gehalten hatten. Als das Freudengeheul endete, kochten die Emotionen geradezu über.
Das Spektakel erinnerte Amal an die Zeit im Warda-Haus. Wenn die Mädchen Arusa gespielt hatten, durfte eine die Braut sein. Die anderen banden sich die Schleier um die knochigen Becken, die sich eines Tages in ausladende Hüften verwandeln würden. Sie stellten Hochzeitsszenen nach und versuchten, schnell mit der Zunge zu trillern wie beim Zagharit. Nur Huda, die anfangs noch recht zaghaft sang, bekam das Geräusch richtig hin. Von da an wurde sie die offizielle »Zagharit-Lehrerin« der Mädchen. Amal hatte sie heimlich gebeten, Lamya nichts beizubringen, denn Lamya beherrschte immerhin schon einen Überschlag.
Wenn Huda doch nur hier wäre. Insgeheim wünschte sich Amal, dass ihre beste Freundin bei ihrer Hochzeit dabei sein könnte. Und dieser Wunsch ließ sie auch an die anderen denken. An ihre Mutter, die schöne Dalia mit dem eisernen Willen. An alle Mädchen aus dem Warda-Haus, und an Muna Jalayta und an die kolumbianischen Schwestern. Sie erinnerte sich auch an die Morgendämmerung und an die beruhigende Stimme ihres Vaters. An die hin- und herschwirrenden Grußformeln ihres Landes und an die Zeit von Al Ghurba. Während des gesamten Hochzeitsfestes lächelte sie, ohne auch nur einmal gequält zu wirken. Sie verfolgte die Feierlichkeiten, während sie gleichzeitig im Geiste ihre schönen Erinnerungen an sich vorüberziehen ließ.
Nach einigen Stunden setzten die Frauen ihre Kopftücher
und Schleier wieder auf und gesellten sich zu den Männern, und die beiden getrennten Feiern wurden zu einem einzigen großen Fest. Jemand legte Amals Hand in Majids. Der Bräutigam war ganz in Weiß gekleidet, mit einer Schwertkoppel um die Hüften und einer seidig glänzenden roten Kufiya. Amal, die einen münzenverzierten Kopfschmuck trug, blickte ihren Mann an, und die Hochzeitsgesellschaft tanzte im Kreis um das Paar herum.
In ihnen beiden braute sich ein Sturm der Liebe zusammen. Ein Verlangen, so stark, dass ihre Knie zitterten und ihre ineinander verschlungenen Hände feucht wurden. Sie lächelten in die Menge, weil es sich so gehörte und weil Frischverheiratete sich bei ihrer Hochzeit so benehmen mussten. Aber Majid ließ ihre Hand nicht los. Von dem Moment, als die schlanken Finger seiner Braut in seine Hand glitten, hielt er sie fest, bis er Amal zu seinem Fiat trug und sie zusammen ins Eheleben davonfuhren.
Majid trug seine Frau auch in die gemeinsame Wohnung im al-Tamaria-Haus in Beirut. Und dann fiel die Schwertkoppel. Seide an Haut, schließlich Haut an Haut. Er beugte sich über sie und labte sich an ihrer Nacktheit. Während seiner Zeit in England war er mit vielen Frauen zusammen gewesen, hatte viele nackte Körper gesehen, aber keiner hatte ihn so verzaubert wie ihrer. Es war der Körper von Amal, mit langem Vokal, der seine Sehnsucht und seine Hoffnung in sich trug. Er stieß ihr seine Hüften entgegen und küsste sie, mit geschlossenen Augen, sodass er ihre Weichheit genau wahrnahm. Sie spürte seinen Atem im Gesicht und öffnete die Beine wie Flügel, um ihren Liebhaber, ihren Ehemann, in sich aufzunehmen. Sie gaben sich ganz dem Sturm der Begierde hin, und ihr Innerstes wurde völlig durcheinandergewirbelt. Am nächsten Tag erwachte Amal trunken vor Liebe.
Schließlich hatte das Schicksal sie doch noch mit einem eigenen Traum bedacht: einem Traum von Liebe, Familie und Kindern. Nicht von Vaterland, Gerechtigkeit oder Bildung. Amal wäre überallhin
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