Während die Welt schlief
dafür, dieses Blau zu spüren.
Wir kehrten gemeinsam zurück, um die guten Nachrichten zu überbringen. Ein paar meiner Schülerinnen kamen auf uns zu, als wir durch die Gassen gingen. Sie grüßten uns, kicherten, rannten weg und kamen wieder zurück. Dann kreischten sie: »Doktor Majid und Abla Amal werden heiiiraaaten!« Und weg waren sie.
Majids starke Schultern neben mir, der Klang seiner Schritte, sein Räuspern – all das mündete in einen Traum, der mein Leben komplett umkrempeln sollte. Majid war jetzt mein Mittelpunkt.
29
Liebe
1981
W ährend ihrer einmonatigen Verlobungszeit trafen sie sich täglich. Majid kam immer ganz früh am Morgen, zu der Tageszeit, die für Amal als Kind einen solchen Zauber besessen hatte. Bei jedem Tagesanbruch wartete sie mit klopfendem Herzen darauf, seine Schritte zu hören. Er ging zügig, denn er konnte es nicht erwarten, die Leidenschaft in ihren unendlich tiefen, dunklen Augen zu sehen, sobald sie ihn erblickte. Doch als sie sich gegenüberstanden, bezähmten sie den Wunsch, sich zu umarmen und zu berühren, denn sie mussten an die guten Sitten denken und an den Ruf von Yussuf und Fatima. Und außerdem würden sie ja bald heiraten.
Sie redeten, weniger, um sich gegenseitig etwas zu sagen, als um den Klang ihrer Stimmen zu hören. Majid lernte, auch noch die kleinste Nuance einer glühenden Liebe zu deuten: die angedeuteten Fältchen um die Augen der Frau, die ihn wahrhaftig liebte; seine Atemzüge in ihrer Gegenwart; wie schnell die Zeit verging, wenn sie zusammen waren, und wie sie sich dahinzog, wenn sie getrennt voneinander waren. Ihre
Gefühle füreinander schienen ein Eigenleben entwickelt zu haben. Beide spürten, dass Worte die Stimmung vielleicht zerstört hätten, darum flüsterten sie nur. Sie unterhielten sich leise und lachten ab und zu. Wenn einer von ihnen lächelte, ging dem anderen das Herz auf. Schließlich wurde es Tag, und sie beteten zum ersten Mal zusammen.
Die Sonne, noch ganz niedrig, erfasste die beiden Betenden, die lange Schatten in Form ihrer Körper warfen. Dann gingen sie zufrieden auseinander.
»Kommst du nach der Arbeit vorbei?«, fragte sie jedes Mal.
Seine Antwort war immer die gleiche: »Insha’allah.« So Gott will.
Die Abende erschienen mir zauberhaft, hoffnungsvoll und klar, wenn ich mit Majid zusammen war. Ich kann die Bilder jetzt vor mir sehen: Wir fünf, Fatima, Yussuf, Majid, die kleine Filastin und ich, sitzen um Teller mit gebratenen Tomaten, Hummus, Ful, Oliven, Za’atar, Eiern, Joghurt und Gurken. Über uns ist der Himmel schwarz und sternenübersät. Wir sitzen im Hof, reden und lachen, als wären wir schon das ganze Leben lang zusammen. Filastin patscht mit der ganzen Hand in den Teller mit Hummus, und Fatima leckt die Hand ihres Babys ab. Das Kind genießt das und streckt seiner Mutter immer wieder die Finger entgegen. An diesen Abenden spürte ich immer, dass ich ein eigenes Kind wollte.
Manchmal brachte Majid sein Teleskop mit und erklärte mir die Geheimnisse des Nachthimmels. Einmal, es war ein Donnerstag, und wir waren am Strand, entdeckte Majid meine Narbe am Bauch. Er legte seine Hand darauf, ohne sich an der wulstigen Haut zu stören. Seine Hand strich liebevoll über meinen Unterleib, und er küsste das vernarbte Gewebe. Er schenkte meinem Körper die Zuneigung, die ich selbst ihm
versagt hatte. Majids Geste war so zärtlich, dass kein Platz mehr für Scham blieb. Eine Wunde des Hasses, geheilt durch Majids Kuss.
Bald nahte der freudige Tag. Ich hatte noch nie zuvor so sehr im Mittelpunkt gestanden. Noch heute klingt das Zagharit der Frauen in meinen Ohren nach. Fatimas Freundinnen, die inzwischen auch meine Freundinnen geworden waren, trugen Wachs auf meinen Körper auf und zupften meine Härchen. Sie rieben mich von oben bis unten mit Öl und Balsam ein. Sie parfümierten mein Haar mit Weihrauch und segneten mich mit ihren Gebeten und Gesängen. Eine Frau, Gott segne sie, nahm Fatima zur Seite und fragte sie, ob sie mich darauf vorbereitet habe, was in meiner Hochzeitsnacht geschehen und was von mir erwartet würde.
30
Eine Geschichte über die Ewigkeit
1981 – 1982
A ls es so weit war, trug Amal goldenen Hochzeitsschmuck, der viel bescheidener ausfiel als jener ihrer Mutter vor vielen Jahren. Die Braut war in Seide von jungfräulichem Weiß gehüllt und tanzte mit den Freundinnen aus Shatila. Am Abend war die Luft erfüllt von fröhlichen Liedern, während die Feiernden ihre Körper hin- und
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