Während die Welt schlief
gegangen, solange sie Majid an ihrer Seite hatte. Er war jetzt ihre Heimat, ihr Vaterland.
Ihre beiden Leben verschmolzen zu einem, und sie genoss noch die kleinsten Details ihres Ehelebens. Sie putzten sich gemeinsam an einem Waschbecken die Zähne, sie aßen und beteten zusammen. Wie ein junges Paar schrieben sie ihre Namen in den Sand und hielten die ganze Zeit über Händchen. Er rasierte ihr die Beine, während sie an seinem Hals knabberte. Sie schnitt ihm die Haare, und er wusch ihre. Sie nahmen nichts als selbstverständlich hin. Ihre Zweisamkeit war rein und ehrlich – die Art von Liebe, von der Fatima gesprochen hatte. Die Art von Liebe, die sich nackt der Ewigkeit entgegenwarf, hin zu Gott.
»Was liest du da, Habibti?«, fragte mich mein Mann.
Ich zeigte ihm den Umschlag. »Das ist eine Sammlung amerikanischer Gedichte über Rosen.«
»Auch die Engländer sind vernarrt in Rosen.«
»Meine Großmutter Basima hat welche gezüchtet. Hier ist ein Werk des Dichters Robert Frost:
›The rose is a rose, and was always a rose,
but the theory now goes, that the apple’s a rose‹.«
Majid antwortete: »Was ist denn so besonders an einer Rose? Hast du dir mal eine genau angeschaut? Sie haben Dornen. Sie duften nicht außergewöhnlich stark. Sie sind schwer zu züchten und empfindlich, wenn man sie zum Blühen gebracht hat. Ich jedenfalls finde einen Löwenzahn viel besser als eine Rose.
Er ist bescheiden, ehrlich und kommt immer wieder, egal, was man ihm antut. Seine Blüte ist wie ein strahlendes, gelbes Lächeln.«
»Da spricht der Kommunist«, zog ich ihn auf. »Und was bin ich? Eine Rose oder ein Löwenzahn?«
»Ach! Diese Falle hätte ich vorausahnen müssen. Du, meine Liebe … bist keine Blume, also etwas, das erst blüht und dann verwelkt. Du bist das Klopfen meines Herzens.«
»Gute Antwort! Rede weiter!«, neckte ich.
»Bekomme ich einen Preis für gute Antworten?«
»Vielleicht.« Ich lächelte.
»Du bist das Licht meiner Augen«, sagte er.
»Du bist gut. Ein Preis wird Ihnen zuerkannt, mein Herr.«
»Oh, Madame, Sie sind zu liebenswürdig.« Majid zog spitzbübisch eine Augenbraue hoch. »Ich möchte meinen Preis gleich einfordern.«
Wir fanden ein Häuschen bei Shatila, sodass ich weiterhin im Lager unterrichten und in der Nähe von Fatima und dem Baby sein konnte. Aber wir behielten unsere Wohnung in Beirut für die Tage, an denen Majid bis spät in die Nacht arbeiten musste.
Wir waren so glücklich, wie wir es uns nur wünschen konnten. Selbst als Kriegsgerüchte im Radio oder bei Kaffeehaus-Unterhaltungen aufkamen, sprachen Majid und ich von Kindern und von unserem Traum, beim fröhlichen Getrippel unserer Enkelkinder alt zu werden.
Als meine Periode ausblieb, war mein Glücksgefühl unendlich groß. Und es wuchs auf das Doppelte an, als nachmittags in der UN-Klinik nicht nur meine, sondern auch Fatimas Schwangerschaft offiziell bestätigt wurde. Wir rechneten aus, dass unsere Babys in der gleichen Woche gezeugt worden sein mussten.
»Der Arzt sagt, es ist Mitte September so weit«, berichtete Fatima.
»Bei mir auch.«
»Glaubst du, Yussuf und Majid haben sich abgesprochen?« Sie meinte es tatsächlich ernst.
»Das würde ich ihnen glatt zutrauen.«
Majid sank vor Freude auf die Knie. Sein Gesicht schaute auf meinen versehrten Bauch, in dem plötzlich neues Leben erwacht war. Die kleinen Details dieses perfekten Abends sind mir schon lange aus dem Gedächtnis entwichen, aber ich spüre noch die Reinheit, dieses Gefühl von völliger Hingabe, das es einem unmöglich macht, noch mehr vom Leben zu verlangen.
Er küsste meinen Bauch. »Hallo, da drin!«, rief er und blickte mich ungläubig an. »Bald sind wir Eltern, Amal!« Er war aufgeregt wie ein Schuljunge.
Einen Monat später schmiedeten wir Pläne, so wie alle Eltern in spe. Eng umschlungen lagen wir im Bett und sprachen über unsere Zukunft und die unseres Babys.
»Wenn die Lage noch brenzliger wird, Habibti, dann solltest du mit Fatima und den Kindern weggehen, bis sich alles wieder beruhigt hat, da sind Yussuf und ich uns einig«, sagte Majid ernst und drückte mich fester.
Israel hatte den Libanon angegriffen, um die PLO zu Vergeltungsaktionen hinzureißen. Im Juli 1981 töteten israelische Kampfjets zweihundert Zivilisten während eines einzigen Luftschlags gegen Beirut, und Ariel Scharon, der damalige israelische Verteidigungsminister, schwor öffentlich, er wolle den Widerstand ein für alle Mal auslöschen.
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