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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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gleichzeitig die Welt retten und das Leben ihres Ehemannes organisieren. Morgens trank sie als Erstes eine Tasse Kaffee, eine Angewohnheit, die sie seit vierzig Jahren aufzugeben versuchte. Dann band sie Ammu die rote Fliege, die so sehr zu ihm gehörte wie seine haselnussbraunen Augen. Schließlich drückte sie ihm sein Sandwich in die Hand und einen Kuss auf die Wange – dieses Ritual war während all der Jahre ihrer Ehe stets gleich geblieben.
    Elizabeth war in Rente gegangen, als Ammu seine Professur an der University of Philadelphia angetreten hatte. Sie widmete ihre Zeit der gemeinsamen medizinischen Hilfsorganisation, den kürzlich von ihr entdeckten Kosmetikbehandlungen und drei Stunden Wassergymnastik pro Woche. Meine Ankunft brachte ihren Alltag durcheinander, und als die Geburt näher rückte, schenkte sie mir all ihre Zeit und wurde ganz zu meiner Ersatzmutter. Ich schlief häufiger bei Elizabeth im Gästezimmer als in meiner eigenen Wohnung.
    Die Tage ohne jede Nachricht von Majid, Yussuf, Fatima oder der Einwanderungsbehörde mehrten sich auf bedrückende Weise. Das waren böse Omen, die durch die Abendnachrichten im Fernsehen noch bedrohlicher wurden. Und am 6. Juni 1982 fiel alles in Stücke.
    Israel griff den Libanon an.

    Ich achtete nicht auf den kleinen Bildschirm auf der Küchentheke, aber Ammu schaute hin, und ich beobachtete, wie sein Gesichtsausdruck sich veränderte, bevor ich selbst begriff, worum es ging. Seit Wochen waren wir angespannt gewesen, und jetzt zog sich das, was wir befürchtet hatten, ganz langsam über seine Miene, wie eine Wolke. Die Farbe wich ihm aus dem Gesicht, und seine Züge wurden immer länger.
    Als ich ihm in die traurigen Augen schaute, hörte ich mit eigenen Ohren, was schrill aus dem Fernseher tönte.
    »Eine massive Invasion.« »Heftiges Luftbombardement.« »Eine neunzigtausend Mann starke Invasionstruppe bewegt sich entlang der libanesischen Küste.« Eingeblendet waren die Worte: »Operation Frieden für Galiläa«. Dieser Titel sollte in die Geschichte eingehen.
    Operation – wie kann man ein Wort nur so verdrehen! Majid führte Operationen durch, um Leben zu retten.
    Fünf endlose Stunden lang versuchte ich mein Glück am Telefon, aber das Telefonnetz des Libanon brach unter den Anrufen von Menschen, die wissen wollten, wie es ihren Angehörigen ging, komplett zusammen – Israel hatte schon damit begonnen, systematisch alle Kommunikationsleitungen zu zerstören. Schließlich tat sich der Himmel auf, und ein zarter Strahl der Gnade schien auf mich herab, als ich die Stimme meines Mannes am anderen Ende vernahm.
    »Habibti. Oh Gott, deine Stimme hilft mir, diese Hölle zu überstehen!«, rief er, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich hatte ihn im Krankenhaus erreicht – rundherum tobte der Krieg. Ich konnte den Donner der Bomben in der Ferne und das Heulen der Ambulanzsirenen hören. Den gellenden Schrei der Angst, weit entfernt, dort, wo ich sein wollte.
    »Majid, bitte komm jetzt«, bettelte ich ihn an.
    »Habibti, die Verletzten werden zu Hunderten eingeliefert,
und wir haben schon zu wenig Personal. Bitte hab Geduld und kümmere dich um unser Kind. Ich werde kommen … Ich verspreche dir, bald sind wir wieder zusammen.«
    Wir wussten nicht, wann wir uns das nächste Mal sprechen konnten, darum dehnten wir die Unterhaltung und füllten jede einzelne Sekunde mit der Liebe, die wir uns bis in alle Ewigkeit gelobten. Er beteuerte mir, er würde im Krankenhaus bleiben.
    »Ich habe geträumt, du hättest ein kleines Mädchen geboren, unsere Sara. Wir haben ein Picknick am Strand von Sidon gemacht. Weißt du noch, als wir unsere Namen in den Sand geschrieben haben?«
    Ich brachte kaum ein Wort hervor. »Natürlich weiß ich das noch!«, schluchzte ich. »Ich habe sie gesehen, im Ultraschall.«
    »Sie?«
    »Ja. Es ist ein Mädchen. Wir bekommen eine Sara.«
    Eine lange Pause folgte. »Letztendlich bist du das Einzige, was mir wichtig ist. An dein Wohl muss ich zuallererst denken. Stimmt das nicht, mein Schatz? Ich liebe dich mehr, als du es dir vorstellen kannst. Vielleicht habe ich meine Aufgabe hier erfüllt.«
    Die kleine Sara.
    Dann war es Zeit zum Auflegen. Es fühlte sich an, als würde man mich zwingen, ein Ventil zu öffnen, das alle Luft aus meinen Lungen sog. Doch Majid würde endlich zu mir kommen, das wäre nur eine Frage von Tagen. Höchstens noch eine Woche.
    Ich wandte mich an Gott, mit dem dringlichen Flehen einer liebenden Frau. Schütze

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