Wände leben - Samhain - Ferner Donner
langsam zu schließen, doch immer wieder verschwanden Seelen, die freigekommen waren, in umgekehrter Richtung hindurch in die Welt, in die sie gehörten.
Sir Darren hätte einiges darum gegeben, einen Blick durch das Portal hindurch werfen zu können. Vielleicht war es die einzige Chance, die er vor seinem Tod bekam, das Jenseits mit eigenen Augen zu sehen. Doch das Licht war zu grell, und die Geschehnisse rund um das Netz und die Schatten nahmen ihn außerdem vollständig in Anspruch.
Kein Zweifel, die Schatten traten den Rückzug an! Das Netz wurde eingezogen, wurde eins mit dem furchtbaren Etwas, das wie eine lebendige Wand in der Dunkelheit waberte.
7
Sprachlos stand er dort und konnte nur zusehen. Auch der Druide hatte sein Schwert sinken lassen. Die Männer mit den Fackeln flankierten sie. Auch sie starrten auf das Schauspiel.
„Gilbert“, krächzte Sir Darren nach einer Weile. „Wo bist du?“
In dem Durcheinander hatte er nicht sehen können, ob die Seele seines Geistführers zu jenen gehörte, die verschont worden waren. Hatte er ins Jenseits zurückkehren können?
Er erhielt keine Antwort.
Was war geschehen? Die Fragen in seinem Inneren ließen sich nicht länger zurückdrängen. Er, der Druide und die anderen standen Stunden später noch da, spähten in die Dunkelheit, obwohl es längst nichts mehr zu sehen gab. Die Schatten waren verschwunden. Das Feuer war heruntergebrannt, die Nacht kalt geworden, doch die Neukelten froren nicht in ihren dicken wollenen Umhängen.
„Erklären Sie mir das“, verlangte Corann schließlich. Im Osten färbte sich der Horizont bereits grau. „Sie scheinen mehr zu wissen.“
Doch Sir Darren konnte nichts erklären.
Sein Wissen war nicht größer als das von Corann, der dasselbe gesehen hatte.
Diese Schatten waren offenbar fähig dazu, die Seelen der Toten … einzufangen. Wie sie das machten und zu welchem Zweck, wer sie waren, woher sie kamen – das alles blieben offene Fragen. Den lebenden Menschen konnten sie nichts anhaben, oder sie legten keinen Wert darauf. Vielleicht nahmen sie sie nicht einmal wahr.
Er hatte das Gefühl, dass in dieser Nacht zu Allerheiligen etwas geschehen war, was ihn lange Zeit beschäftigen würde, möglicherweise bis zu seinem Tod. Heute hatte er etwas gesehen, was er nicht aus den Büchern und aus seiner bisherigen Erfahrung kannte.
Dämonen?
Er hatte nie viel auf religiöse Vorstellungen von Himmel und Hölle gegeben, von Engeln und Teufeln. Er wusste, dass das Jenseits existierte. Es war weder ein Ort der absoluten Gnade und Harmonie, noch der ewigen Qualen und Strafen. Aber was er heute gesehen hatte, drohte den Rahmen seines Weltbilds zu sprengen.
Ein aberwitziger Gedanke setzte sich in seinem Kopf fest und klebte darin fest wie die Seelen an dem Netz der Schatten.
Was, wenn es die Hölle wirklich gab? Wenn ihre Dämonen auf der Jagd nach Seelen waren? Wenn der Teufel keine Bedrohung für die Lebenden war, sondern für die Toten? Wenn er nicht, wie Märchen und Sagen es behaupteten, auf Erden wandelte, um schwache, beeinflussbare Menschen zu ködern und ihnen mit gerissenen Versprechungen die Seelen abzukaufen? Wozu sollte er sich solche Mühe machen, wenn es einen einfacheren Weg gab? Wenn er die Seelen aus dem Totenreich zu entführen vermochte?
Er hatte es heute mit Seelenfischern zu tun gehabt. Der Begriff setzte sich in ihm fest.
Sir Darren ahnte, dass er sich in den kommenden Wochen und Monaten mit Themen auseinandersetzen würde, die er bisher gemieden hatte.
Er hatte das Böse gesehen – ein Netz, Schatten und dahinter das blanke, unverhüllte Chaos.
Die Hölle?
ENDE DER EPISODE
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Nr. 44 -
Ferner Donner
1. Der Fahrer
„Soll --- ch --- dich --- m --- neh ---?“
Die Stimme drang nur verschwommen an Isabels Ohren. Sie nahm den Wagen durch einen dichten Regenvorhang wahr, verwaschen und dunkel. Sie hätte nicht sagen können, um was für ein Modell es sich handelte. Die Tropfenschnüre, die zu Millionen von Himmel hingen, wurden von kurzen, launischen Windböen herumgewirbelt. Die Beifahrertür stand offen, seit einiger Zeit schon, und immer wieder klatschte der Regen gegen die Ledersitze.
Steig niemals zu fremden Männern ins Auto.
Das elfte Gebot. Aus wie vielen Mündern hatte sie das schon vernommen? Und irgendwie war sie bisher tatsächlich durchs Leben gekommen, ohne es zu brechen. Ihr natürliches Misstrauen hatte ihr geholfen, sich an die Warnung zu halten.
Aber heute? Kurz
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