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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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vor Mitternacht am … Popo der Welt, keine Verbindung zur Zivilisation, dazu diese Sintflut! Wie viele Anhalterinnen wurden täglich vergewaltigt? Ermordet? Nicht sehr viele, oder?
    Der Mann drängte sie nicht, obwohl sich sein Wagen bald in einen fahrbaren Swimming Pool verwandeln würde, wenn er noch länger mit geöffneter Tür hier stand. Sein Gesicht war ein nasser Fleck, seine Züge und Mimik nicht zu erkennen.
    Isabel Holzapfel gab sich einen Ruck. Sie verschränkte ihre Arme über dem Kopf, machte drei schnelle Schritte durch den Wolkenbruch und duckte sich ins Auto hinein. Viel zu lange tastete sie in dem Wasserfall, der da draußen toste, nach einem Griff, und als die Tür endlich zuknallte, fühlte sie sich nicht wie in einer Falle, sondern in Sicherheit, geborgen. Ein Urinstinkt. Flucht vor dem Unwetter in eine Höhle. Den Körper vor dem Auskühlen bewahren.
    „Danke“, sagte sie. Sie wischte sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht, blinzelte sich den Regen aus den Augen und starrte den Fahrer an, sog seinen Anblick auf. Jetzt war es noch nicht zu spät, jetzt konnte sie noch aussteigen, falls ihr etwas in seinen Augen nicht gefiel, falls er zu schmierig grinste. Falls er zu nervös wirkte.
    Der Fahrer war in seinen Vierzigern und hatte halblanges, naturgewelltes Haar, dessen Braun so farblos wirkte, dass die grauen Strähnen kaum auffielen. Seine große, leicht vorgestülpte Oberlippe verlieh ihm etwas Jungenhaft-Verspieltes. Sein Gesicht war voller Grübchen und Unebenheiten, sein Kinn mit lockeren Bartstoppeln übersät, seine Augen freundlich und offen. Irgendwie hatte er etwas Neugieriges an sich. Er trug ein langärmliges Polo-Shirt und eine Blue Jeans.
    Er sah nicht aus wie ein Vergewaltiger.
    Aber wie sahen Vergewaltiger aus?
    „Alles okay?“, fragte er. „Du musst Richtung Stadt, nehme ich an.“ Wäre er in ihrem Alter gewesen, hätte sie das Duzen nicht gestört. So kam es ihr aufdringlich vor.
    Die Stadt , das war in diesem Fall Leipzig. Isabel nickte, drückte die Knie gegeneinander und legte die Hände in den Schoß wie ein ultrabraves Mädchen. In ihrem Lederoutfit fühlte sie sich unwohl. Man konnte es als provokativ auffassen, wenn man wollte. Lack und Leder. Zwar verhüllte es ihren Körper nahezu komplett, doch bildete es auch seine Proportionen genau ab. Und es schimmerte wie feuchte Haut. Die Regentropfen darauf funkelten. Als die Scheinwerfer sie trafen, wie sie allein an der überdachten Bushaltestelle stand, musste sie geglänzt haben wie eine fettige Schwarte. Vielleicht stand er auf so was.
    Der Fahrer wartete nicht, bis sie sich angeschnallt hatte, sondern fuhr sofort los. Ein bisschen ruckartig war sein Fahrstil, ein bisschen riskant. War er auch schon so gefahren, als er noch kein Mädchen neben sich hatte?
    „Es geht wohl kein Bus mehr, was?“, erkundigte er sich, während er auf der Landstraße beschleunigte. 90 Sachen im dichten Regen. Zu schnell für ihren Geschmack. Ihre Kommilitonin Melanie hätte sich vermutlich wohler gefühlt.
    „Da stand noch einer drauf, um 23.55 Uhr“, antwortete Isabel. „Den wollte ich nehmen. Aber ich habe übersehen, dass der nur von April bis September fährt.“
    „Das ist Pech. Was hättest du gemacht, wenn ich nicht gekommen wäre?“
    Isabel schwieg. Sie hatte sich bereits bedankt. Er erwartete doch wohl nicht, dass sie ihm die Füße küsste?
    „Hat dir das Konzert gefallen?“
    Isabel war keine große Plappertante und hatte wenig übrig für Konversation um der Konversation willen, aber brütendes Schweigen wäre in dieser Situation noch unangenehmer gewesen. „Es war super“, antwortete sie deshalb.
    Er warf ihr einen Blick zu und zog eine schwierige Miene. „Hast du eine Idee, was ich über das Gothic-Spektakel schreiben könnte? Das ist nicht so ganz meine Musikrichtung. Sorry, ich hab mich noch nicht vorgestellt. Ich heiße Jürgen.“
    „Isabel.“
    „Ich schreibe für die Südwest Presse, das Feuilleton. Mindestens drei Spalten sollen’s werden.“
    „Südwest Presse“, wiederholte sie. „Das ist ja fast in meiner Nähe. Ich wohne im Schwarzwald in Wolfach.“ Bei Wolfach, wäre korrekter gewesen. In einem alten Gemäuer, das den Namen Falkengrund trägt. Irre, was? „Und da fährt man durch die halbe Republik für einen Artikel? Sachsen grenzt nicht einmal an Baden-Württemberg.“
    „Stimmt natürlich. Aber unser Korrespondent in Leipzig ist im Urlaub, die in Berlin haben einen vollen

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