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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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umgestoßen. ‚ Ihre Fa-…? Das hier‘, ich klopfte mit der Fingerkuppe auf das winzige grüne Gesicht, das mir als das von Olga verkauft worden war, ‚sind also Sie?‘
    Anna schüttelte den Kopf. Sanft. ‚Das ist Olga, meine Schwester.‘
    ‚Demnach haben Sie an dieser Feier nicht teilgenommen.‘
    ‚Falsch‘, behauptete sie. ‚Ich habe das Foto gemacht.‘ Sie lachte mich an wie nur jemand lachen kann, der gelogen hat und weiß, dass die Lüge nicht widerlegt werden kann.
    ‚Ich habe mit Ihrer Mutter geredet‘, sprach ich zu eilig weiter. ‚Sie sagte, Olga sei ihre einzige Tochter gewesen.‘
    ‚Meine Mutter hält nicht viel von mir. Ihr Liebling hieß immer Olga.‘
    Wissen Sie, dass Olga ein Dämon war? Die Stimme der hageren Frau tönte durch meinen Kopf. Diese Behauptung, die mich seither jeden Tag beschäftigt hatte, konnte ich vor meinem Gegenüber nicht aussprechen. Anna kam mir selbst etwas dämonisch vor, allerdings auf eine wohltuende Art, wie ein kehliger Deltablues. Wenn die Mutter ihre Lieblingstochter einen Dämon nannte, als was hätte sie dann wohl Anna bezeichnet, die sie so verachtete, dass sie mir sogar ihre Existenz verschwieg?
    ‚Unser Gespräch hat einen merkwürdigen Weg eingeschlagen‘, bemerkte Anna.
    ‚Was mir leid tut. Das Foto … brüllte in meiner Tasche. Ich hätte mein eigenes Wort nicht mehr verstanden, wenn ich es dort gelassen hätte.‘
    Darauf erwartete ich etwas wie ‚Sie sind ja ein Poet‘. Sie wäre nicht die erste Frau, die mir das gesagt hätte. Doch sie nickte nur ernst und meinte: ‚Die Fotografie ist eine Rarität.‘
    ‚Wie Sie.‘ Das hatte ich jetzt aber nicht gesagt, oder?
    ‚Nun haben Sie die Stimmung ein bisschen gerettet.‘
    ‚Anna, ich … ich möchte Sie duzen. Bitte!‘
    ‚Tun Sie’s doch!‘
    ‚Okay. Dann …‘
    Sie beugte sich über den Tisch, senkte die Lider, das Kinn mir entgegengereckt, den Mund entspannt. Ich küsste sie, spontan, leidenschaftlich und ohne jede Zurückhaltung. Als sich unsere Lippen berührten, geschah dreierlei. Eins: Bilder von Olga flammten in meinem Geist auf wie die seltsamen kurzen Schnitte, die in Horrorfilmen mit überlauten Effekten unterlegt werden. Zwei: Meine Lippen fühlten sich an, als hätten sie das heiße Innere eines Körpers berührt. Über Nummer Drei will ich nicht reden. So etwas passiert uns Männern, aber normalerweise nicht so schnell, nicht so heftig und nicht an einem Ort wie diesem. Ich vergewisserte mich, dass das Tischtuch weit über meine Schenkel reichte.
    Anna wich langsam von mir zurück, nicht ohne unseren Kuss von ihrer Seite aus mit allem gefüllt zu haben, was ein Kuss braucht, um zu blühen. ‚Du hast Olga gekannt?‘, wollte sie wissen.
    ‚Wie den Anfang eines Songs‘, antwortete ich. ‚Falls du verstehst, was ich meine.‘
    ‚Du hast sie geliebt?‘
    ‚Nicht so wie dich.‘
    Anna kicherte lange vor sich hin, auch ich lachte in mich hinein, und ich weiß nicht, wer die Verlegenheit des anderen mehr genoss. Da waren wir, zwei erwachsene Menschen, die sich seit zehn Minuten gegenübersaßen, sich einigermaßen taktvoll gaben und dennoch in Gedanken längst übereinander herfielen wie Tiere.
    Auch ihr Kichern war warm, samtig und mit einer abgeschliffenen Oberfläche, an der man sich reiben wollte. ‚Nun möchtest du sicher wissen, wie der Song weitergeht‘, flüsterte sie. ‚Und nachdem du das Vorspiel bereits kennst …‘
    ‚… kann ich dankend darauf verzichten‘, ergänzte ich. Was geschah mit uns?
    ‚Dann sollten wir die Musik vielleicht nicht länger anhalten.‘ Anna stand jetzt neben dem Tisch, die Hüfte angewinkelt, ein von Grübchen apostrophiertes Lächeln auf dem weichen Gesicht. Ich kannte Menschen, die hätten an ihr … die Melodieführung zu verspielt, die Arrangements überladen gefunden. Mir machte es der warme volle Sound ihres Körpers unmöglich aufzustehen und an den anderen Gästen vorüberzugehen. Wollte ich eine peinliche Situation vermeiden, musste ich versuchen, an Anna vorbeizusehen und vorbeizudenken.
    Noch immer wartete ich darauf, dass sie plötzlich ans Telefon gerufen wurde und nie wieder auftauchte. Nach wie vor steckte mir Olga in den Knochen. Mehr noch als die Natürlichkeit, mit der wir uns nahe kamen, erstaunte mich die Ähnlichkeit zwischen Olga und Anna. Eine unbeschreibliche Analogie.“
    .
    Jürgen warf Isabel einen Blick zu, als wollte er sich vergewissern, dass die sexuellen Anspielungen ihr nicht unangenehm

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