Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
weiß er natürlich auch: Zu viel Wachstum macht so ein junges mittelständisches Unternehmen ja oft schnell wieder kaputt.
Was nützt dem Wolf die Freiheit, wenn er das Schaf nicht fressen darf?
In Cottbus, Ecke Bahnhofstraße/Erich-Weinert-Straße, steht ein Mann an der Kreuzung und wartet. Als die Ampel grün wird, gehe ich rüber, er bleibt stehen. Gehe gegenüber in den Kiosk, und als ich wieder rauskomme, steht er immer noch da. Mehrere Grünphasen müssen mittlerweile vergangen sein, auch jetzt ist gerade wieder eine, links und rechts drängen sich die Leute an ihm vorbei, aber er bleibt einfach stehen. Als ich auf dem Rückweg wieder an ihm vorbeikomme, spreche ich ihn an:
– Entschuldigung, aber gibt es einen Grund, weshalb Sie bei Grün nicht die Straße überqueren?
Er schaut mich erschrocken an, sagt:
– Was nützt dem Wolf die Freiheit, wenn er das Schaf nicht fressen darf?
Ich denke, ach Gott ja, was frag ich auch. Will gerade weitergehen, als er plötzlich ruft:
– Entschuldigung! Fluss durch Luzern mit fünf Buchstaben?
– Was?
– Fluss durch Luzern mit fünf Buchstaben?
– Ähm, Reuss.
– Reuss?
– Ja, Reuss, wie der Fußballer, nur mit doppeltem «s».
– Welcher Fußballer?
– Marco Reus, Borussia Dortmund.
– Was hat der denn mit Luzern zu tun?
– Nichts, der Fluss heißt nur so.
– Welcher Fluss?
– Der durch Luzern.
– Oh, den suche ich, wissen Sie zufällig, wie der heißt?
– Reuss.
– Wie der Fußballer?
– Ganz genau, nur mit doppeltem «s».
Er holt ein Kreuzworträtsel raus, schaut, sagt dann:
– Nee, das kann aber nicht sein, das muss was mit fünf Buchstaben sein.
– Reuss ist mit fünf Buchstaben.
– Ja, aber nur, wenn man’s auch so schreibt.
– Was?
– Außerdem haut das nicht hin. Das muss mit «H» anfangen.
Er zeigt mir das Kreuzworträtsel. Brauche einen kurzen Moment, da mehrfach mehrere Buchstaben in einem Kästchen stehen, aber dann erkenne ich das Problem.
– Das liegt daran, dass Sie bei männlicher Hase Haserich geschrieben haben. Das muss aber Rammler heißen.
– Ich weiß, aber ich schreibe nicht gern solche Worte.
– Bitte?
– Rammler, das schreib ich einfach nicht gerne, da schreib ich lieber Haserich.
– Ja, dann isses aber verkehrt.
– Ja, aber das isses mir wert.
Es wird grün. Er drückt mir plötzlich das Kreuzworträtsel in die Hand und rennt über die Kreuzung. Ich bleibe irritiert zurück. Es wird rot, dann grün, dann wieder rot. Ein älterer Mann spricht mich an.
– Entschuldigung, aber gibt es einen Grund, weshalb Sie bei Grün nicht die Straße überqueren?
Ich schaue erschrocken und sage:
– Was nützt dem Wolf die Freiheit, wenn er das Schaf nicht fressen darf?
Er lacht.
– Okay, kein Problem, der Fluss durch Luzern heißt Reuss, geben Sie mir einfach das Kreuzworträtsel, ich übernehme für Sie, dann könnse weiter.
Gebe es ihm und gehe langsam wieder meines Weges. Nach einigen Schritten höre ich es plötzlich laut hinter mir rufen:
– Was nützt dem Wolf die Freiheit, wenn er das Schaf nicht fressen darf?
Denke: Meine Herren, Cottbus ist doch sehr viel eigener, als man so meint, aber in Berlin glaubt einem das wahrscheinlich wieder kein Mensch.
Die Tafel
Der Hausmeister meiner früheren Grundschule schreibt mir, die Grundschule werde entkernt und zu einem Fitnessstudio – inklusive Rückenschule – umgebaut. Ich will gar nicht darüber lamentieren, was es über den Wandel der Bevölkerungsstruktur in ländlichen Gebieten aussagt, wenn dort jetzt aus Grundschulen Rückenschulen werden. Ich möchte es nur einmal bemerkt haben.
Der Hausmeister jedenfalls hat so viele Mailadressen wie möglich von ehemaligen Schülern ausfindig gemacht, um diesen zu schreiben, dass er bald jede Menge Gegenstände aus der alten Grundschule bei eBay versteigern würde.
Und da war sie dann. Zwischen Flötotto-Stühlen und -Tischen, diversen Braunholzrollschränken und der Schnapsmatrizenmaschine leuchtete auf dem Foto: meine alte Schultafel. Die alte Schiefer-Grundschultafel aus Raum 24 , unserem Klassenzimmer. Die Tafel, an der Herr Gühlke immer oben links die Zuspätkommer aufgeschrieben hat. Und auch die, die Unfug veranstalteten. Wo man den ganzen Schultag lang seinen Namen lesen konnte, wohl wissend, dass jeder, der dort aufgelistet war, am Ende mit einer Strafe bedacht werden würde. Die Tafel, vor der ich wer weiß wie oft verzweifelt und ahnungslos stand. Auf dem Holzboden, der, vom
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