Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)

Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)

Titel: Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
Vom Netzwerk:
er in zwei, drei Jahren an diesen Berlinale-Tag denkt, wird er wahrscheinlich drüber lachen.

Letzte Sätze
    Nicht selten sind die letzten Worte, die berühmte oder auch nicht so berühmte Menschen vor ihrem Tod gesagt haben sollen, Gemeingut geworden. Goethes «Mehr Licht!», Archimedes’ «Störe meine Kreise nicht!» oder der schöne alte Witz über den letzten Satz eines Fluggastes: «Guck mal, ich kann mit meinem Handy die Landeklappen fernsteuern!», haben schon viele Menschen zum Nachdenken angeregt.
    Humphrey Bogart soll tatsächlich als Allerletztes gesagt haben: «Ich hätte nicht von Scotch zu Martini wechseln sollen», während Bertolt Brecht mit einem sympathischen «Lasst mich in Ruhe!» abgetreten ist. Nur so mittelmäßig einfallsreich war Luis Buñuel, der gesagt haben soll: «Ich sterbe», womit er natürlich recht hatte, andererseits aber auch das Diesseits ein bisschen als Klugscheißer verlassen hat.
    Kürzlich habe ich bei der Berlinale einen zweieinhalbstündigen ungarischen Film gesehen, in dem es praktisch nur um den letzten Satz von Friedrich Nietzsche ging. Also quasi. 1889 ist Nietzsche in Turin vors Haus gegangen, hat einen Kutscher gesehen, der auf sein Pferd eindrosch, sich schützend vor das Pferd gestellt und ist dann von einer Sekunde auf die andere in eine Art Wachkoma gefallen. Zehn Tage später hat der Philosoph wohl noch einmal einen hellen Moment gehabt und seinen berühmten letzten Satz gesagt: «Mutter, ich bin dumm.» Hernach verbrachte er seine restlichen Jahre schweigend in Demenz. Das alles ist bekannt. Der Film geht allerdings der interessanten Frage nach: Was ist eigentlich mit dem Pferd passiert? Wie ist es dem weiter ergangen?
    Einen solchen Ansatz finde ich immer sehr lobenswert. Auch mal die andere Seite zu betrachten. Also bei Bergsteiger-Filmen zum Beispiel nicht nur von den Dramen und Tragödien der abgestürzten Bergsteiger zu erzählen, sondern auch mal zu überlegen, wie sich eigentlich der Berg fühlt, wenn da ständig Menschen von ihm runterfallen. Vielleicht leidet der ja darunter. Auch könnte man mal einen Bericht machen über die netten Vulkane, die nie ausbrechen und deshalb immer nur belächelt oder gar ignoriert werden, wogegen ihre cholerischen Kollegen wegen ihrer dauernden Unbeherrschtheit behandelt werden wie große Stars.
    Meine Freundin zumindest hat diesen etwas weiteren Blick. Kürzlich, als ich wegen einer Fischvergiftung schwer leidend über der Kloschlüssel hing, hat sie tatsächlich nichts anderes gesagt als: «Oje, der arme Fisch.»
    Im Berlinale-Film passiert dann übrigens zweieinhalb Stunden lang nichts. Also außer dass ein furchtbarer Sturm tobt, ein Bauernpaar Kartoffeln isst, sich mehrfach an- und wieder auszieht und das Pferd krank ist. Sonst nichts. Zweieinhalb Stunden lang und alles in Schwarzweiß. Gesprochen wird so gut wie nicht, nur mitten im Film gibt es einmal sechs Minuten Gerede am Stück, auf Ungarisch. Direkt nach der Vorführung dachte ich … na ja, also eigentlich dachte ich nichts, und das wohl auch auf Ungarisch.
    Einige Wochen später allerdings muss ich bilanzieren, dass ich schon mehrfach von dem Film geträumt habe, täglich denke ich mindestens einmal kurz an ihn und habe die Bilder dieses Bauernpaares oder des Pferdes vor Augen. Das ist keinem anderen Film in den letzten zehn Jahren gelungen. «A Turin Horse» heißt das Werk, es hat den Jurypreis bekommen, wird also wahrscheinlich noch mal irgendwo laufen. Also nur falls jemand Interesse hat, immer mal wieder von ungarischen Bauern in Schwarzweiß zu träumen.
    Auf jeden Fall habe ich mir, nicht zuletzt wegen dieses Films, jetzt auch einen letzten Satz überlegt. Dieser Satz ist hervorragend: philosophisch, humorvoll und absolut geeignet, mich für immer als ganz schön intelligent in Erinnerung zu halten. Mein Problem ist nur: Wie kann ich sicher sein, dass ich ihn auch kurz vor meinem Tod sage? Ich meine, in solchen Situationen, also wenn man gerade stirbt, ist man doch oft mit seinen Gedanken ganz woanders. Werde ich mich da an meinen letzten Satz erinnern? Was, wenn ich sozusagen meinen Text vergesse? Wäre ja nicht das erste Mal.
    Zudem gibt es das Problem, dass ich den Satz natürlich nicht schon vorher sagen darf. Dann wäre es ja eben nicht mehr mein letzter Satz. Meine unsterblichen, großen, finalen Worte.
    Der naheliegendste Gedanke erscheint mir deshalb, das Sterben einfach mal vorher zu proben. Komplett, mit Regie, Schauspielern und Textbuch.

Weitere Kostenlose Bücher