Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
wenn sie grinsend gefragt hätte, ob man eine Vergrößerung möchte, dann hätte man gewusst, dass sie die Fotos ohnehin längst gesehen hat. Und wenn man in einem kleinen Ort lebt … Kurz, es wäre früher ein gewaltiger Aufwand gewesen, so ein Foto zu machen! Das hätte doch keiner so ohne weiteres auf sich genommen, nur um es dann jemandem, der es wahrscheinlich gar nicht sehen will, mit der Post zu schicken.
Aber heute wird alles fotografiert. Ich habe kürzlich gelesen, dass pro Stunde weltweit knapp fünf Milliarden Bilder entstehen. Rund um die Uhr! Wo nehmen wir die Leute her, die sich das irgendwann mal alles angucken?
Das wäre mein gesellschaftskritischer Punkt gewesen. In der Geschichte, die dann nie gesendet wurde. Das Fotografieren ist zu einfach geworden. Es wird zu viel und zu gedankenlos fotografiert. Da darf sich keiner wundern, wenn erigierte Wurstbrote im Posteingang sind. Aber, frei nach Olaf Thon, solche fotofeindlichen Fundamentalfragen werden hier doch nur wieder alle verretuschiert.
Ehua-Routine
Mittwochnachmittag. Stehe am Fenster und schaue auf das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort stehen an jedem zweiten Fenster auch Menschen und schauen auf unser Haus. Vor ungefähr einer Minute ist in unserem Viertel das DSL -Netz ausgefallen. Das geschieht hier häufiger mal, und immer wenn es passiert, stehen viele Menschen auf, gehen zum Fenster und gucken, ob andere Menschen im Haus gegenüber aufgestanden sind und aus dem Fenster schauen. Natürlich gibt es auch ein paar andere, die sieht man wütend telefonieren, rumschreien, verzweifelt den Laptop auf der Suche nach Netz durch die Luft schwingen oder wild am Router herumstecken. Früher war ich mal genauso. Doch mittlerweile würde ich das nicht mehr tun. Selbst wenn es gar kein Netzausfall wäre, sondern ein privater Computerabsturz oder ein massives Softwareproblem.
Ein Bekannter aus der IT -Branche erzählte mir kürzlich: Die erfolgversprechendste Lösungsstrategie für plötzlich auftretende, kaum erklärliche Anwendungsprobleme bei Computerprogrammen sei die sogenannte Ehua-Routine. Ehua ist hier tatsächlich mal ein deutscher Begriff und steht für «Einfach hoffen und abwarten». Bei technischen Problemen sei dies der Heilungsansatz mit der mit Abstand höchsten Erfolgsquote. Weit vor Aufschrauben, Umkonfigurieren, Software aktualisieren, Draufschlagen oder Anschreien und Neustart. Anschreien und Neustart, das sogenannte AuN-Verfahren, stehe allerdings auf Platz zwei, knapp gefolgt vom Willkürlichen Aktionismus ( WA ), einem völlig planlosen, hektischen, aggressiven Wechsel zwischen allen bekannten und unbekannten Lösungsansätzen.
Außerhalb der Computerwelt – auch in meinem Freundeskreis – gibt es die weit verbreitete Überzeugung, die meisten Probleme würden dadurch gelöst, dass ein weiteres Problem auftritt, welches das ursprüngliche Problem einfach verdrängt oder überlagert. Peter beispielsweise meint, die Schramme im Lack eines Autos lasse sich ja auch am schnellsten und unkompliziertesten beheben, indem man in dieselbe Stelle einfach eine Beule reinfahre. Manchmal braucht es hierfür nur ein wenig Geduld.
Mit dieser Strategie habe ich auch schon gute Erfahrungen gemacht. Als in meiner wilden Zeit mal zwei Pfosten meiner Bettkonstruktion weggeknickt sind, wären andere in einer solchen Situation womöglich nachhaltig nervös geworden. Hätten wahrscheinlich in blindem Aktionismus versucht, das Ganze sofort zu reparieren, kompliziert rumzuwerkeln, und damit vermutlich sich und ihre Umgebung in massive Unruhe versetzt. Ich hingegen habe geduldig abgewartet, bis das Problem sich von alleine löst. Die Matratze auf den Boden gelegt und das kaputte Bett kaputtes Bett sein lassen. Und siehe da, nach nicht mal einer Woche verliere ich sehr früh morgens, im Stockdunklen, beim Hochwuchten von der tiefen Matratze das Gleichgewicht, falle in das niedrige Bücherregal und zerstöre es erstaunlich gründlich. Nun gab es also zwei Probleme: ein kaputtes Bett und ein kaputtes Regal. Habe also die Bücher statt der beiden Stützpfosten unter das Bett gelegt und hatte beide Probleme gelöst.
Meine Schlafstätte war jetzt allerdings schon ein bisschen wacklig, und wenn ich eines der noch ungelesenen Bücher aus dem neuen Bettpfostenregal lesen wollte, musste ich ein möglichst gleich dickes Buch nachkaufen, um es zu ersetzen. Das sorgte in der Buchhandlung manchmal für fragende Blicke, wenn ich mit dem
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