Wärst du doch hier
Jack war bestens damit vertraut –, über die Wiesen, durch das Grenzgatter und über das Ridge Field, das an das Barton Field grenzte. Der direkte Weg hätte sie oben am Ridge Field entlanggeführt, so dass sie den Hof bei der großen Scheune erreicht hätten, aber Jimmy hatte sich ohne Umstände an das untere Ende des Ridge Field gehalten und war dann trotz des matschigen Untergrunds an der niedrigen Hecke am Barton Field entlanggefahren, sodass sie einen guten Blick den Abhang hinunter zu der großen Eiche hatten. Die Leiche war noch da, wurde aber gerade abgeholt und war ohnehin größtenteils und vielleicht barmherzigerweise vom Stamm verdeckt. Mehr als ein Paar sehr stiller Gummistiefel konnten Jimmy und Ellie nicht sehen.
Als der Land Rover auf den Hof fuhr, war es, besonders für die beiden Polizisten, unmöglich, den Ausdruck auf Jimmy Merricks Gesicht genau zu deuten. Er hatte etwas Koboldartiges, das alles bedeuten konnte – Triumph oder Schock oder vielleicht Zeichen einer soeben zugeführten, signifikanten Menge Alkohols. Jedenfalls steckte er seinen Kopf aus dem Fenster und erklärte DS Hunt (Bob Ireton kannten sie ja), dass sie Nachbarn seien, die Merricks, gute, alte Nachbarn der Luxtons, und gekommen, um zu helfen.
Ellie hingegen war still und hatte eine Weile ziemlich blass ausgesehen. Doch schon bald machte sie sich nützlich. Ja, an jenem Tag wirbelte sie auf der Jebb Farm so,als gehörte der Hof ihr. Einen Moment lang sah es sogar so aus, als richte sie sich darauf ein, über Nacht zu bleiben, und auch das wäre ein erstes Mal gewesen. Jimmy hätte es ihr vielleicht sogar zugestanden. Aber gerade, als sich die Möglichkeit immer deutlicher abzuzeichnen schien, kam Mrs. Warburton aus Leke Hill Cross, mit Kartons voller aus ihrer Sicht notwendiger Verpflegung. Sie war inzwischen älter, aber sie erinnerte sich gut an die Zeit, als sie auf der Jebb Farm lebenswichtige Hilfe geleistet hatte. Und wie eine Frau, die über ein Schlachtfeld schreitet, sprach sie die Frage aus, die neben dem weiterhin beharrlichen Refrain von »Du mieser Hund« ebenfalls in Jacks Kopf herumging.
»Mein Gott, was hätte deine arme Mutter gedacht?«
27
Jack zog die Vorhänge zurück – vorsichtig, als erwarte er etwas Schreckliches – und blickte auf Okehampton. Der Schlaf war ihm nicht gänzlich ferngeblieben, aber er hatte eine schlimme Nacht hinter sich, in der es wild hin und her ging und er nicht wusste, was Realität, was Traum war. Bestimmt war es, so hatte er sich flüchtig überzeugt, nur ein Traum, dass er hier lag, in einem Hotelzimmer in Okehampton, im Verlauf dieser Reise, die nichts als ein übles Hirngespinst war, seinem Kopf entsprungen. Aber er erinnerte sich an Inseln ähnlicher wunschbesetzter Wahnvorstellungen in der schrecklichen Nacht damals (die beiden Nächte schienen zu einer zu verschmelzen), die er nach dem Tod seines Vaters verbracht hatte. Bestimmt war es nicht so. Bestimmt war es noch immer die Nacht davor, und sein Vater schlief in dem großen Schlafzimmer auf der anderen Seite des Flurs (ob unter einer Schottenmusterdecke oder nicht), und er, Jack, hatte den Schuss nicht gehört, der zu dieser albtraumhaften schluchtartigen Kette von Ereignissen führte, die sich nicht ereignet hatten.
Der klare blaue Himmel über den Dächern spottete seiner mit einer scharfen Wirklichkeit. Klar, es musste so ein Tag sein wie der damals, der Remembrance Day.Einige der Dächer waren grau vom Raureif, auf anderen, wo die Sonne schon hinkam, mischte sich glitzerndes Weiß mit glänzendem Schwarz. Wie in jeder Kleinstadt bei Tagesanbruch herrschte auch in Okehampton ein Treiben wieder aufgenommener familiärer Tätigkeiten, und es blieb nicht aus, dass ein solch klarer, strahlender Morgen dazu beitrug, das Vertrauen der Einwohner in ihre Welt zu mehren. Jack aber fühlte sich wie ein Spion hinter der Feindeslinie.
Es war also wahr, alles war wirklich wahr. Heute musste er ein paar Dinge erledigen (nachdem er andere bereits gestern erledigt hatte). Er musste zu einer Beerdigung gehen – in weniger als drei Stunden. Dann musste er gut hundert Meilen fahren, zu einer Insel vor dem Festland, wo er (der Gedanke kam ihm jetzt befremdlich vor) sein Zuhause hatte. Mehr hatte er nicht zu tun.
Heute musste er an einem Ort sein, wo er seit über zehn Jahren nicht gewesen war – und wo er geglaubt hatte, nie wieder sein zu müssen. Die letzte Beerdigung, an der er dort teilgenommen hatte,
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