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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Aufmerksamkeit der anderen Gäste ausgeliefert zu sein, könnte sich ebenfalls als schwierig erweisen. Vor der Beerdigung war dies die einzige Situation, in der er riskierte, die Neugier anderer Menschen zu erregen. Oder deren Misstrauen.
    Auf dem Gehweg gegenüber dem Hotel waren zwei Bürger von Okehampton, zwei Frühaufsteher, stehen geblieben und begrüßten sich mit einem Überschwang, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen. Ihre geröteten, strahlenden Gesichter schienen für Jacks Geschmack gut zu der Vorstellung von Bacon zu passen.
    Binnen einer halben Stunde, rasiert und mit dem sauberen weißen Hemd sowie der dunklen Hose seines Anzugs bekleidet, war er auf dem Weg nach unten und suchte, wie ihm am Abend zuvor gesagt worden war, die »hintere Bar« auf. Er hätte sich ebenso gut von seiner Nase leiten lassen können.
    Es war ein tiefliegender Raum mit niedriger Decke, der zu einer anderen Tageszeit vielleicht schummerig erleuchtet gewesen wäre, jetzt aber von Streifen blendend hellen Lichts der tiefstehenden Sonne, die durch eine Lücke zwischen den Häusern gegenüber hereinschien, durchschossen wurde. Die Strahlen trafen auf die gewienerte Theke, wo die Zapfhebel mit Geschirrtüchern verhängt waren, und auf das funkelnde Besteck auf mehreren gedeckten Tischen. Die Küche war offensichtlich in der Nähe, denn nicht nur tanzten lauter Staubkörnchen in den Sonnenstrahlen, auch bläulicher Rauch kräuselte sich darin.
    An zweien der Tische, halb von der Sonne beschienen, halb im Schatten, saßen Männer, die konzentriert ihr Frühstück kauten und die Zeitung studierten. Jack stellte erleichtert fest, dass sie nichts weiter von ihm verlangten als ein Nicken und ein gemurmeltes »Guten Morgen« und dass sie wie er elegante Hemden mit offenem Kragen trugen. Sie könnten alle drei vom gleichen Schlag sein. Er war in einem Hotel, das im November, falls überhaupt noch, für Vertreter mit begrenztem Spesenkonto geöffnet war. Plötzlich schien es Jack eine unschuldige und ehrenhafte Gruppe, zu der man gehören konnte, und er begann für sich   – falls er gefragt würde   – eine Alternativ-Existenz als Vertreter zu erfinden. Vertreter wofür? Landwirtschaftliches Gerät? Nein, natürlich Wohnwagen. So viele Anlagen, die im Winter über die Erneuerung ihres Bestands nachdachten. Er war Reisender   – in Wohnwagen.
    Er war zudem erleichtert zu sehen, dass die Besitzerin allein für die Zubereitung und das Servieren des Frühstückszuständig war. Wenigstens kannte er ihr Gesicht schon, und solange sie beschäftigt war, fühlte er sich davon nicht bedroht.
    Er bestellte Frühstück nach Devonshire-Art. In seinen Grundbestandteilen war es nicht anders als das Frühstück, das man in jeder anderen Grafschaft auch bekommen hätte, aber es war, als es ihm serviert wurde, wirklich sehr gut. Besonders der Bacon war sehr gut. Er war so gut, dass Jack für ein paar Minuten   – trotz allem, was ihm bevorstand, und allem, was er hinter sich hatte, und trotz der unruhig verbrachten Nacht   – mit Leib und Seele zu jemandem wurde, der einzig und allein damit beschäftigt war, sein Frühstück zu verzehren. Es war wirklich außerordentlich gut. Er fühlte sich erstaunlich gestärkt.
    Doch kaum hatte er sein Frühstück beendet und den Blick gehoben, da sah er in dem kleinen runden Fenster in der Schwingtür, die in die Küche führte, nicht das Gesicht der Besitzerin, sondern das von Tom, das in den Raum hineinsah, direkt zu ihm hin. Da es nur das Gesicht war, konnte Jack sich nicht sicher sein, ob Tom auch diesmal seine Kampfausrüstung trug (oder zum Beispiel eine Schürze), aber er warf einen Blick hinein, so wie ein achtsamer Koch einen kurzen Blick in den Gastraum werfen würde, um sich zu vergewissern, dass seine Gäste   – und speziell ein Gast   – zufrieden waren.
    Tom hatte also das Frühstück zubreitet, Tom hatte den Bacon gebraten.
    Dann war Toms Gesicht verschwunden. Jack, der absichtlich die Morgenzeitung auf der Theke gemieden und stattdessen eine nicht sehr hilfreiche Broschüre mit dem Titel »Things to do in North Devon« genommenhatte, warf jetzt einen Blick auf die Titelseite einer Zeitung, hinter der sich einer der anderen Frühstücksgäste verbarg, und sah die Bildunterschrift »Helden kehren zurück« (es war nicht der Aufmacher, sondern ein Artikel am Rand) sowie das Foto. Er wusste nicht, welcher der Särge es war. Trotzdem, er war sich sicher.
    Alles, was gestern geschehen

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