Wärst du doch hier
Beispiel, war keine Privatangelegenheit. Es war ein öffentliches Denkmal, alle konnten die Namen darauflesen. Fuller, Pickering. (Wo waren sie jetzt – und die Grüppchen, die ihnen anhingen?) Jedenfalls, das Leben in einem Dorf war niemals privat, das wusste Jack. Jeder hatte jeden im Blick. In dieser Hinsicht konnte er, heute, diejenigen, die in Großstädten lebten, um ihr unauffälliges Leben beneiden.
Das Ereignis gestern hätte ihn eigentlich auf eine gewisse Öffentlichkeit vorbereiten müssen. Im Vergleich dazu müsste diese kleine Sache auf einem ländlichen Friedhof ein Kinderspiel sein. Aber Jack wusste – beim Anblick der mit Raureif bedeckten Hügel vor sich, die er seit über zehn Jahren nicht gesehen hatte –, dass dies nicht zutraf.
Mit Brookes und Babbages hatte er gut verhandeln können. Er war sowohl erfreut als auch bekümmert gewesen, dass Brookes noch im Amt war, denn dessen Stimme am Telefon versetzte ihn unmittelbar zurück zu der Beerdigung seines Vaters (und der von Jimmy). Brookes hatte gesagt: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Jack. Das letzte Mal haben wir gesprochen, als … Und jetzt dies.« Irgendwie war es tröstlich zu wissen, dass ein Mann der Kirche nicht wusste, was er sagen sollte. Aber Jack mochte nicht die Klammer – erst das, dann dies – über zwölf Jahre, als wäre beides miteinander verbunden, und das zweite würde das erste wieder ausgraben. Vielleicht war Brookes, der beim ersten Mal so fest gestanden hatte, diesmal an seine Grenzen gelangt. Erst Selbstmord – und jetzt das?
Brookes hatte Jack unter anderem gefragt, ob er bei der Trauerfeier ein paar Worte sagen wolle. Jack hatte verneint und gesagt, das sei ihm nicht möglich, was eine ehrlicheAntwort war, und Brookes hatte nicht beharrt, sondern gesagt: »Ist gut.« Dann hatte Brookes gefragt, ob Jack sich wünsche, dass er, Brookes, in seiner Ansprache etwas Bestimmtes sage – zum Beispiel über die beiden Luxton-Brüder auf dem Denkmal da draußen? Jack hatte einen Moment lang nachgedacht und gesagt, nein, das wolle er nicht, und Brookes schien auch einen Moment lang nachzudenken und sagte dann wieder: »Ist gut.« Inzwischen hatte Jack den tröstlichen Eindruck gewonnen, dass Brookes seinen Wunsch verstand, nämlich dass er genau das Gleiche wollte wie vor zwölf Jahren, als sie von Angesicht zu Angesicht gesprochen hatten. So wenig und so einfach wie möglich.
Brookes wusste inzwischen sehr genau (er war seit über fünfundzwanzig Jahren Pfarrer), dass die meisten Menschen sich bei diesen Anlässen, auch wenn es keine außerordentlichen Umstände zu bedenken gab, nur das wünschten – so wenig und so einfach wie möglich, nur das Wesentliche, das, was unbedingt nötig war. Also: eine schlichte Trauerfeier, nur eine Ansprache, und er müsste eine Möglichkeit finden – auch das hatte er schon damals hinbekommen –, auf die außergewöhnliche (und gewaltsame) Todesform hinzuweisen. Er müsste darüber nachdenken, auf eine Eingebung warten. Der Sarg würde über Nacht in der Kirche bleiben und nach der Trauerfeier auf den Friedhof getragen werden – Jack war der Haupt-Sargträger (das war der Teil, so Brookes’ Erfahrung, der den meisten Männern wichtig war) –, wo eine schlichte Beisetzung stattfinden würde. Kaum mehr, wie Brookes genau wusste, als achtzig Schritte.
Diese Überlegungen hatten sich in seinem Kopf versammelt, noch während er mit Jack am Telefon sprach. »Also gut«, hatte er gesagt, weil er spürte, dass Jack das Gespräch nicht länger ausdehnen wollte, »dann wird er wieder bei seinen Eltern sein.« Und hatte das Schweigen am anderen Ende der Leitung gehört. Und hinzugefügt: »Eine ganz schön lange Reise.« Dann, als das Schweigen anhielt, hatte er gefragt (er wusste, dass er die Frage stellen musste, und das war die einzige Gelegenheit), ob auf dem Sarg eine Fahne, der Union Jack, liegen würde? Und wenn nicht, wollte Jack dann, dass sie – die Gemeinde – eine Fahne beschafften? Oder etwas dergleichen? Da Brookes noch nie eine Trauerfeier dieser Art zu leiten hatte, wusste er nicht genau, was erforderlich war. Aber Jack hatte das Schweigen gebrochen und nein gesagt, er wolle keine Fahne. Es würde keine Fahne geben. Und Brookes, nach einer Pause, hatte gesagt: »Ist gut.«
Brookes wird da sein, dachte Jack, er wird älter aussehen. Wer noch? Sally und Ken Warburton? Und wird Sally diesmal auch den Kopf schütteln?
Weitere Kostenlose Bücher